Sie waren zwölf Jahre als Vertreter der internationalen Gemeinschaft in Bosnien. Welche Persönlichkeiten haben Sie positiv beeindruckt?
Negativ wär’s leichter. Da fällt mir sofort Milorad Dodik ein. Mir fallen auch positive ein. Die beeindruckendste Persönlichkeit in Bosnien ist der Bürger. Da gibt es viele Nelson Mandelas, die täglich mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten. Zum Beispiel Hasan Ahmetlić, ein Muslim. Er hat in Tešanj auf eigene Faust die Renovierung einer katholischen Kirche finanziert. Oder in Trebinje, da wurde eine Moschee beschmutzt. Am nächsten Tag sind serbische Nachbarn gekommen und haben sie gereinigt. Oder in Jajce. Da wollten Politiker ein Gymnasium nach Volksgruppen trennen. Die Schüler haben das verhindert. Das sind die wahren Helden von Bosnien-Herzegowina. Die verdienen ein Denkmal.
Seit einigen Wochen geistert ein Papier durch die EU, das neue Grenzen in der Region vorschlägt. Kann das auch eine Chance auf ein Ende der internen Konflikte sein?
Im Gegenteil. Eine Änderung der Grenzen ist die Büchse der Pandora. Wo soll das aufhören? In der Vojvodina in Serbien, wo es 16 Minderheiten gibt? In der Republika Srpska mit mehr als 100.000 Bosniaken? Oder in Mostar – will man etwa mitten in der Stadt zwischen Kroaten und Bosniaken eine Mauer hochziehen? Wer Grenzen neu ziehen will, soll zuerst die Kriegsgräber in ganz Europa besuchen! Grenzen dürfen nicht verändert, sondern müssen überwunden werden.
Slowenien übernimmt im Juli den EU-Ratsvorsitz. Was bedeutet das für die Region und eine mögliche Erweiterung?
Slowenien ist ein Vermittler mit Erfahrung. Aber es geht nicht nur um die Erweiterung, sondern auch um unsere Sicherheit. Der Attentäter von Wien kam vom Balkan. Die Waffen ebenfalls. Bei den Terroranschlägen von Paris und Brüssel kamen die Waffen auch vom Balkan. Unsere Sicherheit beginnt am Balkan. Auch Drogen und Menschenhandel laufen teils über den Balkan. Rechtsstaatlichkeit und funktionierende Regierungen sind daher ein Muss.
Die internationale Gemeinschaft hat sich zuletzt etwas zurückgezogen. War das ein Fehler? Sollte man wieder mehr Präsenz zeigen?
Es war ein Fehler. In der ersten Phase haben wir enorm viel erreicht. Einheitliche Nummerntafeln, eine Grenzpolizei, ein gemeinsames Verteidigungsministerium – aus drei Armeen wurde eine Armee. Eine stabile Währung. Danach haben wir, zu schnell, die Dinge mehr in die lokale Verantwortung gelegt. Das war nicht sehr glorreich. Wir sollten wieder etwas robuster werden, um das Land voranzutreiben. Die Uhr tickt. Viele sind ausgewandert. Sie wollen Europa. Aber sofort.
Wann kann sich die internationale Gemeinschaft aus Bosnien zurückziehen?
Wir müssen einen irreversiblen Frieden herbeiführen – und uns erst dann zurückziehen. Wir wollen nicht ewig bleiben. Vielleicht noch zehn, fünfzehn Jahre. Der Krieg ist quasi erst gestern beendet worden. Die Leute reden noch immer davon. Kriegsverbrecher werden verherrlicht. Erst kürzlich wurden wieder Massengräber entdeckt.
Was werden Sie Ihrem Nachfolger, dem Deutschen Christian Schmidt, mitgeben? Welche Handfertigkeiten wird er brauchen?
Er soll sich strikt an europäische Standards halten, vor allem aber an die Menschen. Es sind sehr gütige, freundliche Menschen. Er soll er sich Zeit für diese Menschen nehmen, nicht nur für Politiker. Er soll mit ihnen einen Kaffee trinken. Aber ich möchte ihm auch ans Herz legen, entschiedener aufzutreten. Nicht zögerlich, denn das könnte ausgenutzt werden. Genauso entschieden muss er übrigens auch mit der internationalen Gemeinschaft umgehen.
Wenn man Ihnen so zuhört, klingt das, als würden Sie auch einiges mitnehmen aus Ihrer Zeit in Sarajevo ...?
Wir in Europa sind ja sehr rational und utilitaristisch, oft ein bisschen zu dogmatisch. Man muss manchmal aber auch flexibel sein. Die Hilfsbereitschaft ist eine schöne Eigenschaft der Bosnier. Die Nachbarschaft ist hier Goldes wert. Bosnier sind großzügige, gütige und freundliche Menschen. Sie lieben die Familie, die Kinder, alles was gut ist. Ich habe hier viel gelernt. Ich bin von vielen Politikern oft enttäuscht worden – aber nie von den Menschen.
Kommentare