Pressestimmen: "US-Medien machten sich zu Geiseln Trumps"

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Internationale Medien reagieren mit ungläubiger Bestürzung über Donald Trumps Wahlsieg - und sehen auch die US-Medien in der Verantwortung.

Aftonbladet (Stockholm)
"Für die Welt und Schweden dürfte ein Sieg von Donald Trump eine dramatische Veränderung beinhalten. Seine Außenpolitik ist im Großen und Ganzen völlig unbekannt, außer dass er Gegner des Freihandels ist, skeptisch gegenüber den NATO-Verpflichtungen und den russischen Präsidenten Wladimir Putin mag. Wie er sich im Mittleren Osten, im Bezug auf China oder im Kampf gegen Terrorismus verhalten wird, können wir nur raten. (...) Er hat freie Medien angegriffen, unabhängige Richter infrage gestellt und gedroht, seine Gegenkandidatin ins Gefängnis zu werfen. Das sind Methoden, die wir mit Diktaturen und autoritären Staaten verbinden - nicht mit den USA und der westlichen Welt. Und Trumps Bewegung liegt in der Nähe von Parteien wie den Schwedendemokraten und dem europäischen Rechtspopulismus. Das verheißt nichts Gutes."

Zum Kommentar von Kurier.at-Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner

Expressen (Stockholm)
"Es ist wahr, dass Donald Trump unwissend, unberechenbar und ein Mobber ist. Für seine Wähler ist es aber nicht 'wahr für sie und falsch für andere' (...). Stattdessen wenden sie eine bekannte Taktik an, die wir Menschen benutzen, wenn die Fakten auf dem Tisch in eine andere Richtung deuten als die, zu der wir uns hingezogen fühlen: Leugnen und Herausreden. Vielleicht haben wir uns von einem politischen Klima, das auf Vernunft basiert, zu einem hinbewegt, das auf Gefühlen basiert."

Hospodarske noviny (Prag)
"Das auffälligste Merkmal der zurückliegenden amerikanischen Wahlkampagne war die schwer verständliche gegenseitige Intoleranz, wenn nicht gar der Hass, zwischen beiden Lagern. Dies spiegelt eine tiefe Zerrissenheit der Gesellschaft, die lange von der Vorstellung des amerikanischen Traums zusammengehalten worden war. Viele Wähler, ob nun demokratische oder republikanische, eint heute das unangenehme Gefühl, dass man schon schlafen muss, um an den amerikanischen Traum zu glauben, wie es der Komiker George Carlin gesagt hat. (...) Wenn Donald Trump zum Sinnbild der diesjährigen Kampagne geworden ist, muss man in Erinnerung behalten, dass er nicht die Ursache, sondern ein Symptom der Probleme der amerikanischen Gesellschaft ist."

Lidove noviny (Prag)
"Wenn man unabhängige und sachlich informierende Medien zu den Grundpfeilern einer Demokratie zählt, dann wirft die zurückliegende US-Wahlkampagne ernste Fragen auf. In Russland folgen die Medien politischen Aufträgen und unterliegen Druck und Zensur. Die meistgesehenen US-Nachrichtensender Fox News und CNN haben sich indes ganz freiwillig zu Geiseln Donald Trumps gemacht. Dessen Show zog bei den Zuschauern, die Gewinne gingen nach oben, die übrigen Kandidaten aber unter. Damit es keine Missverständnisse gibt: Im Unterschied zu Russland haben die USA eine funktionieren Demokratie, die auf der Freiheit des Einzelnen beruht, in ihre DNA geschrieben. Das haben auch die Schlangen vor den Wahllokalen unterstrichen. Doch ihr demokratisches Modell, das vor einem Vierteljahrhundert als 'Ende der Geschichte' gerühmt wurde, steht heute mehr denn je unter Druck."

Le Figaro (Paris)
"Amerika ähnelt an diesem Morgen einer dieser Schwerverwundeten, denen man den Schlamm abwaschen muss, um ihre Wunden zu entdecken und sie endlich zu versorgen. Der Zusammenstoß war heftig, die Schäden sind immens. Zwei Länder sind aufeinandergeprallt, ohne dass irgendjemand über lange Zeit den Unfall hätte kommen sehen. Die erste Aufgabe des neuen Bewohners des Weißen Hauses wird es sein, zu versuchen, sie wiederzuvereinigen. (...) Neben Gewalt und Schlamm wird von diesem amerikanischen Wahlkampf das Bild eines großen Scheiterns bleiben. Politiker, Medien, Analysten haben den Bulldozer Trump nicht kommen sehen und sich bereitwillig an die Karikatur gehalten. Oder eher: Sie haben das wütende Volk nicht wahrgenommen, das auf seiner breiten Spur marschierte. (...) Das Jahrmarkt-Phänomen hat das Gesellschaftsphänomen verdeckt."

Times (London)
"Trump war stark angeschlagen durch sein Benehmen, doch der Schaden wäre viel größer gewesen, wenn die Menschen seiner Gegnerin vertraut hätten. Weil Donald Trumps Mängel so groß sind, haben europäische Beobachter unterschätzt, wie viele Amerikaner der Ansicht sind, dass Hillary Clintons Mängel mindestens ebenso groß sind. Das mag für viele auf dieser Seite des Atlantik eine außerordentliche Einschätzung sein. Doch wenn man dies nicht begreift, ist es unmöglich, die US-Wahl von 2016 zu verstehen."

Iswestija (Moskau)
"Nicht nur für die Demokraten, sondern auch für einen Teil der republikanischen Führung galt ein Präsident Trump als die schlechtere Variante. Denn er fürchtet sich nicht, gegen das etablierte System anzugehen, und er sagt, was er denkt, und nicht das, was konform ist. Aus genau diesem Grund haben in diesem Wahlkampf nicht nur die Anhänger Clintons gegen ihn gearbeitet."

Zum Kommentar von KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter

Gazeta Wyborcza (Warschau)
"Donald Trump muss der Welt als Präsident der Vereinigten Staaten keine apokalyptische Katastrophe bringen. Aber leider bedeutet seine Wahl für die Welt, wie wir sie heute kennen, radikale Veränderungen zum Schlechten. Ein weiterer Stein fällt aus der Mauer der westlichen Stabilität.(...) Wir wissen nicht, was für ein Präsident Trump sein wird, aber seine bisherigen Aussagen aus der Wahlkampagne können uns nicht optimistisch stimmen."

De Tijd (Brüssel)
"Amerika muss nicht wieder groß werden, es muss sich aber wieder mit der Politik versöhnen. Das ist die einzige Schlussfolgerung nach einer langen und traurigen Kampagne, die der Präsidentschaftswahl vorausging. Amerikas Demokratie muss wieder hergestellt werden. (...) Es ist eine neue politische Kultur erforderlich, um die USA wieder mit den Politikern und mit sich selbst zu versöhnen. Das wird eine außerordentlich schwierige Aufgabe. Trump hatte mit der Zerstrittenheit gespielt, um Wähler anzuziehen. Es ist schwer, in ihm die versöhnende Persönlichkeit zu sehen, die Amerikas Politik aus der Sackgasse holen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies nun vier verlorene Jahre werden."

Berliner Morgenpost
"Dieser 9. November 2016 ist nach der Katastrophe von 9/11 für das intellektuelle Amerika ein politisches 11/9. (...) Es waren die Unpolitischen, die wirtschaftlich Abgehängten und die Wut-Bürger, die am Wahlautomaten ihren Frust nach acht enttäuschenden Obama-Jahren rausließen. Ihnen waren Lügen, Hass und auch üble Sex-Prahlereien egal. Sie folgten einem banalen - aber genialen - Versprechen: "I make America great again".

Und nun? So schwer es fällt: Gewählt ist gewählt und der Wählerwillen muss akzeptiert werden. In einer Demokratie gibt es keine gute oder schlechte Stimme. Donald Trump zieht mit Melania jetzt ins Weiße Haus ein und die ganze Welt wird Zeuge eines historischen Erziehungsprojekts: Ein rüpelhafter Kandidat, der Religionen diskriminieren und Mauern bauen will, muss zum verantwortungsvollen Präsidenten mutieren. Das wird eine historische Aufgabe für Berater, Militärs und die Partner Amerikas."

Neue Zürcher Zeitung
"Und wieder einmal lagen die Umfragen falsch: Vor allem die weiße Unter- und Mittelschicht im nördlichen Industriegürtel des Mittleren Westens hat dem Außenseiter den Weg zum Erfolg geebnet. Es war eine Art Wiederholung des Brexit-Referendums in Großbritannien.(...) Den Durchbruch schaffte Trump aber genau mit jener Wählerschaft, die er mit seinen provokativen, oft beleidigenden Aussagen direkt angesprochen hatte: die früher gewerkschaftlich linke, weiße Unter-und Mittelschicht, die sich von den Eliten in Washington, von Wall Street und von der Demokratischen Partei verraten und verkauft fühlte und in Trump jene Figur sah, die ihrem Schmerz und ihrer Perspektivlosigkeit ein trotziges "Nein, wir verschwinden nicht einfach!" entgegenschleuderte."

La Stampa (Turin)
"Das Volk des Aufstandes erobert Amerika und wählt Donald Trump, es erschüttert die Welt. In knapp elf Monaten hat der weiße Mittelstand, gegeißelt von der Wirtschaftskrise und sozialen Missständen, in dem Tycoon einen Verteidiger gefunden, der (...) die Demokraten von Hillary Clinton geschlagen und das Establishment in Washington gedemütigt hat. Er hat den ganzen Planeten überrascht.

Es ist ein Hurrikan der Unzufriedenheit, der aus dem Bauch der Nation schlägt und der seine Hochburg in den Midwest-Staaten hat, die Barack Obama einst erobert hatte und die nun die Farbe gewechselt haben. Weil Millionen verarmte Familien ohne Hoffnung auf Wohlstand und Zufriedenheit sich entschieden haben, aus Washington die Dynastien der letzten 30 Jahre zu vertreiben: die Bushs und die Clintons."

Financial Times (London)
"Donald Trumps erstaunlicher Sieg stellt die Weichen für eine Reihe von radikalen politischen Wenden - im Inland wie im Ausland. Unter Trump als Präsident könnten einige der für Barack Obama charakteristischen Errungenschaften versenkt werden, darunter (die Krankenversicherung) Obamacare, die Umweltpolitik und das Atomabkommen mit dem Iran. Die Hoffnungen der Demokraten, den Obersten Gerichtshof für die nächste Generation nach ihren Vorstellungen formen zu können, dürften zunichtegemacht werden. Ein viel stärker konservativer Gerichtshof ist nun wahrscheinlich.

Auch die Außenpolitik könnte sich dramatisch verändern. Allerdings verweisen viele Analysten darauf, dass es große Unterschiede zwischen Wahlkampfversprechen und offizieller Politik geben kann - Neuverhandlungen von Handelsabkommen sind zum Beispiel manchmal weniger substanziell als vorher angekündigt. Und Bekenntnisse zu außenpolitischen Themen - wie etwa zur Verlegung der US-Botschaft in Israel (von Tel Aviv) nach Jerusalem - werden manchmal einfach vom Tisch gewischt."

Liberation (Paris)
"Schock. Donnerschlag. Und ein Schwindelgefühl angesichts der Idee, dass Donald Trump in kaum zweieinhalb Monaten seine Koffer im Weißen Haus abstellt. (...) Mit einem außergewöhnlichen politischen Gespür begabt, hat Donald Trump, ein ebenso visionäres wie unheilvolles Genie, mehr als irgendjemand sonst den Verdruss eines Teils Amerikas und dessen Abscheu auf Washington und die Eliten erfasst, die den Hoffnungen von Hillary Clinton eine kalte Dusche verpasst haben."

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