"Clinton ist selbst ihr größter Feind"

Agression und Frustration: Donald Trumps Wahlkampf-Stil lebt von negativen Emotionen
Die US-Soziologin Saskia Sassen über Trump und die Radikalisierung der Wähler.

Die Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Saskia Sassen ist eine der prominentesten kritischen Stimmen der USA. An der New Yorker Columbia-Universität befasst sie sich mit Themen wie Globalisierung, Migration und der Krise nationalstaatlicher Politik. Der KURIER traf sie am Rande einer wissenschaftlichen Tagung der Arbeiterkammer in Wien.

"Clinton ist selbst ihr größter Feind"
Uni Wien

KURIER: Was nährt die Frustration der Wähler in den USA – und damit ein Phänomen wie Donald Trump?

Saskia Sassen:In den letzten 30 Jahren ist der größte Faktor des Wirtschaftswachstums verloren gegangen, die ständige Vergrößerung einer unteren Mittelklasse, die Wohlstand erlangte. Diese Mittelklasse hat sich gespalten, in jene 20 Prozent, die tatsächlich heute mehr Geld machen, als sie jemals erwartet hatten – und 80 Prozent, die gegen den Abstieg kämpfen.

65 Prozent der Jobs, die in der Krise verloren gingen, waren Mittelklasse-Jobs. Die Millionen von neuen Jobs, die in den letzten Jahren entstanden, sind das gerade einmal 20 Prozent. Die anderen sind entweder ganz hohe Einkommen oder – zum allergrößten Teil – kleine und kleinste. Diese pflichtbewusste untere Mittelklasse ist aber auch jene Schicht, die am verlässlichsten zu Wahlen geht. Diese Wählergruppe ist weggebrochen. Die sind frustriert – und sie haben die falschen Feinde, als allererstes den Staat.

Wieso punktet Trump vor allem mit Aggression und Negativität?

Es gibt eine Alltagskultur der wachsenden Ignoranz in den USA – außergewöhnlich in der westlichen Welt. Eine konstante Verdummung, die selbstzufriedene Gleichgültigkeit produziert, so lange es Wohlstand gibt – und Hass und Aggression, wenn der wegfällt. Es gibt in den USA eine Tendenz zur Hysterie, die stärker ist als in Europa.

Wieso diese grundsätzliche Ablehnung von Politik?

Es gibt eine schrumpfende Lebenszone, in der sich die Bürger wahr- und ernst genommen fühlen. Immer mehr Menschen werden aus dieser Zone ausgeschlossen.

Mehr und mehr Menschen haben das Gefühl, dass sie einfach nichts mehr zählen, dass die Politiker sie nicht mehr vertreten. Ihre Stimmen haben Politiker viel zu lange als Selbstverständlichkeit betrachtet.

Wieso werden immer mehr Menschen an den Rand gedrängt?

Wir haben in den 1980ern eine neue wirtschaftliche Ära betreten, eine Ökonomie der Ausbeutung von Ressourcen. Ein typischer Sektor ist die Hochfinanz. Also eine Ökonomie, die schaut was zu holen ist und nichts hinterlässt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Massenkonsum der ordnende Faktor in der Gesellschaft. Er sorgte dafür, dass auch Kleinverdiener wichtige Wirtschaftsfaktoren waren. Auch wegen ihnen haben Regierungen damals Sozialprogramme eingeführt, damit die Haushalte mehr ausgeben, mehr konsumieren konnten. Das ist vorbei.

Wie erklären Sie den Erfolg von Bernie Sanders gegen die Favoritin Hillary Clinton?

Es sind vor allem ganz junge und alte Leute, die Bernie Sanders begeistert. Das größere Problem aber ist Hillary Clinton. Sie ist keine Vollblut-Politikerin, sie ist eine Karrierefrau. Sie war die programmierte Kandidatin, deshalb haben die Demokraten gezielt keine anderen zum Zug kommen lassen. Clinton sollte diese Beförderung als Belohnung erhalten. Das war Karrieredenken, aber weit weg von Politik. Clinton ist selbst ihr größter Feind. Sie ist einfach eine schwache Kandidatin. Sie ist hochintelligent, sie arbeitet hart, aber sie hat grundsätzlich die falsche Einstellung und es fehlt ihr an politischem Mut.

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