UNO: Heuer bereits 3.740 Flüchtlinge im Mittelmeer umgekommen

Zahl der ertrunkenen Menschen dürfte Rekordzahl des Vorjahres übersteigen. Trotz Rückgang der Ankünfte in Europa.

Obwohl mittlerweile weniger Menschen über das Mittelmeer fliehen, kommen dabei mehr denn je ums Leben. Seit Anfang des Jahres sind laut UNO bereits fast so viele Flüchtlingen im Mittelmeer ertrunken wie im gesamten Jahr 2015. Mindestens 3.740 starben beim Versuch Europa auf der Suche nach einem besseren Leben zu erreichen.

Daher sei zu befürchten, dass die Zahl der Toten bis Ende 2016 den Rekord des Vorjahres noch deutlich übersteigen werde, so der Sprecher des Flüchtlingshilfswerks Vereinten Nationen (UNHCR) William Spindler am Dienstag in Genf. 2015 seien 3.771 Todesfälle registriert worden.

Die hohe Anzahl von Toten in diesem Jahr sei auch deshalb alarmierend, weil sie in starkem Gegensatz zum deutlichen Rückgang der Flüchtlingszahlen insgesamt stehe, erklärte der UNHCR-Sprecher. 2015 seien rund eine Million Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa gelangt, während es in diesem Jahr bisher 327.800 gewesen seien. "Dies ist mit Abstand das Schlimmste, was wir je im Mittelmeer gesehen haben", sagte UNHCR-Sprecher William Spindler. Die Todesrate habe sich verdreifacht.D

UNO: Heuer bereits 3.740 Flüchtlinge im Mittelmeer umgekommen
ATTENTION EDITORS - VISUAL COVERAGE OF SCENES OF INJURY OR DEATH Spanish rescuers transfer migrants to their boat as a dead Somali migrant is seen in a dinghy off the Libyan coast in Mediterranean Sea August 20, 2016. REUTERS/Giorgos Moutafis

Das Risiko, bei der Überfahrt ums Leben zu kommen, sei noch erheblich größer geworden. Am gefährlichsten ist nach den Worten von Spindler die Route der Menschenschmuggler über das zentrale Mittelmeer von Libyen nach Italien. Hier bezahle statistisch gesehen jeweils einer von 47 Menschen den Fluchtversuch mit seinem Leben.

Seit Schließung der Balkanroute im Frühjahr versuchen kaum noch Flüchtlinge aus der Türkei die Überfahrt nach Griechenland. Die meisten Flüchtlingsboote im Mittelmeer starten derzeit von Libyen aus mit Ziel Italien. Fast alle Flüchtlinge in dieser Region werden von Schiffen des EU-Rettungseinsatzes "Sophia" an Bord genommen und an Land gebracht. Seit Beginn des EU-Einsatzes "Sophia" wurden Zehntausende Flüchtlinge aus Seenot gerettet.

Allein am Montag waren 2.200 Bootsflüchtlinge von verschiedenen Hilfsorganisationen und der Küstenwache gerettet worden; zudem wurden 16 Leichen geborgen. Die meisten Menschen seien in Schlauchbooten unterwegs gewesen, teilte die italienische Küstenwache mit.

Italien ist eines der Hauptankunftsländer für Migranten und entwickelt sich zusehends vom Transit- in ein Zielland. Deswegen fühlt sich das Land von anderen EU-Ländern im Stich gelassen, die sich weigern, Migranten aufzunehmen, und mahnt mehr Solidarität in der Flüchtlingskrise an.

Nach Schätzungen der Regierung in Rom werden in diesem Jahr mehr Migranten denn je über das Mittelmeer nach Italien kommen. Seit Jahresbeginn erreichten bereits 153.450 Migranten die Küsten des Mittelmeerstaates - zehn Prozent mehr als im vergangenen Jahr, wie die Tageszeitung La Repubblica am Dienstag unter Berufung auf das Ministerium berichtete. Es werde damit gerechnet, dass die Zahl Ende des Jahres die der 170.000 Ankömmlinge von 2014 übertreffe.

Bei einem bewaffneten Angriff auf ein Flüchtlingsboot vor der Küste Libyens sind nach Angaben der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch am Freitag vier Menschen getötet worden. Bis zu 25 Flüchtlinge würden noch vermisst, sagte ein Sea-Watch-Sprecher der Nachrichtenagentur AFP in Rom. Die Angreifer näherten sich in der Nacht dem in Seenot geratenen Flüchtlingsboot.

An Bord des Schiffs der Angreifer waren Abzeichen der libyschen Küstenwache angebracht. Wie der Sea-Watch-Sprecher weiter ausführte, versuchten die nur Arabisch sprechenden Angreifer, den Motor des überfüllten Boots an sich zu bringen. Sie schlugen den Angaben zufolge mit Knüppeln auf die Flüchtlinge ein. Von diesen seien daraufhin viele in Panik ins Wasser gestürzt und ertrunken. Die Helfer sahen demnach noch zwischen 15 und 25 Körper im Wasser, konnten sie aber nicht an Bord ihres Rettungsschiffs "Sea-Watch 2" holen. Der Vorfall habe sich etwa 14 Seemeilen vor der libyschen Küste in internationalen Gewässern ereignet.

Der Sprecher schätzte, dass 150 Flüchtlinge an Bord des Boots waren. Seine private Hilfsorganisation habe 120 von ihnen gerettet. Die italienische Küstenwache bestätigte diese Zahl. Sie hatte das deutsche Rettungsschiff in der Nacht zu Hilfe gerufen. Der Angriff erfolgte demnach, als die Helfer von Sea-Watch dabei waren, Schwimmwesten an die Flüchtlinge auszugeben. Auf ihrer Facebook-Seite forderte die Hilfsorganisation "umgehend eine detaillierte Aufklärung dieser immensen Menschenrechtsverletzung".

Heimathafen der "Sea-Watch 2" des gemeinnützigen Vereins Sea-Watch ist Berlin. Das zum Rettungsschiff umgebaute ehemalige Forschungsschiff ist seit diesem Jahr zwischen der libyschen Küste und Malta unterwegs, um in Seenot befindlichen Flüchtlingsbooten zu Hilfe zu kommen. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben seit Jahresbeginn mehr als 3.650 Flüchtlinge beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren.

Vor der Küste Zyperns wurden unterdessen nach Behördenangaben am Freitag mehr als 80 Flüchtlinge gerettet, die Hälfte von ihnen Frauen und Kinder. Ihr behelfsmäßiges Boot sei nach einem Motorschaden ins Küstengebiet um die Stadt Paphos abgeschleppt worden. Die vermutlich aus Syrien stammenden Flüchtlinge sollten in ein Auffanglager nahe der Hauptstadt Nikosia gebracht werden.

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