Ungarns Reise ins (Un)Gewisse: Wie es nach der Wahl weitergeht
Zwölf Jahre.
So lange ist Viktor Orbán bereits durchgehend Ministerpräsident von Ungarn. Und so lange würde es im Falle eines Sieges der geeinten Opposition bei den Wahlen am Sonntag dauern, bis alle von Orbán an die Spitze staatlicher Institutionen, Medien und Organisationen gesetzten Verbündeten nicht mehr an der Macht wären, schätzen Politologen. Und die Opposition ohne Behinderung regierungsfähig wäre.
"Wir sind seit 30 Jahren hier, und wir werden auch in den nächsten 30 Jahren hier sein", hatte Orbán bereits auf dem Fidesz-Parteitag 2015 angekündigt. Orbán hat seine Ankündigung wahr gemacht, hat seine Macht und seinen Einfluss im Falle einer Abwahl einzementiert.
Doch glaubt man den aktuellen Umfragen, sieht es so aus, als wäre das gar nicht nötig gewesen: Der Krieg in der Ukraine hat Orbán in die Hände gespielt. In den Umfragen liegt Fidesz je nach Meinungsforschungsinstitut bis zu acht Prozentpunkte vor dem Oppositionsbündnis und dessen Spitzenkandidaten Péter Márki-Zay, vor Kriegsausbruch war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Im Zweifel für die Sache
"In Krisenzeiten sammelt sich das Volk hinter den Regierenden, meidet radikale Regierungswechsel", so die allgemeine Begründung. Orbán scheint dabei – zumindest innenpolitisch – seine Nähe zum Kreml nicht zu schaden. "Außenpolitik spielt in der Wahlentscheidung der Ungarn keine Rolle", meint der Politikwissenschaftler András Bozóki von der von Orbán aus Ungarn vertriebenen Central European University: "Die Menschen fängt Orbán mit persönlichem, materiellem Wohlstand." Etwa durch Preisdeckelungen auf alltägliche Güter und die Einführung einer 13. Rente.
Zum ersten Mal tritt ein Bündnis aus sechs Parteien unter dem konservativen wirtschaftsliberalen Péter Márki-Zay gegen Orbán an. Die Wahllokale sind von sechs bis 19 Uhr geöffnet. Wahlberechtigt sind laut Angaben der Wahlbehörde rund 8,2 Millionen Menschen.
Bei der Parlamentswahl werden die 199 Parlamentssitze vergeben. 106 Sitze werden in den Wahlkreisen, die restlichen 93 aufgrund von Parteilisten verteilt. Das Wahlportal taktikaiszavazas.hu schätzt derzeit den Anteil jener Wahlkreise, die noch nicht entschieden sind, auf 26 von insgesamt 106.
Die OSZE schickt aus Angst vor Wahlbetrug mehr als 200 Wahlbeobachter. Premier Orbán holt seine eigenen Beobachter nach Ungarn, darunter EU-Parlamentarier Vilimsky (FPÖ).
Diesmal findet zeitgleich eine Volksabstimmung zum international stark kritisierten "Anti-Pädophilie-Gesetz" statt, das unter anderem die Informationsfreiheit von Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit einschränkt. Kritisiert wird das Referendum vor allem wegen der Fragestellungen, die auf den "Schutz von Kindern" abzielen. Eine Frage lautet: "Sind Sie dafür, dass man minderjährigen Kindern Medieninhalte zeigen darf, die Geschlechtsumwandlungen darstellen?" Die Volksabstimmung ist dann gültig, wenn mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten gültig votiert haben. Die Opposition hat zum Boykott aufgerufen.
Doch diese Zuckerl fallen nach der Wahl weg. Das könnte Ungarn angesichts der steigenden Inflation, der aus Angst vor Korruption von der EU zurückgehaltenen Gelder und der im Wahlkampf geleerten Staatskasse vor Herausforderungen stellen.
Ungarn vor der Krise?
Nicht wenige Ökonomen befürchten eine Wirtschaftskrise. Und die träfe Ungarn, wo die Kluft zwischen Arm und Reich sich seit Orbáns Amtsantritt vergrößert hat, schwer.
"Verliert Orbán, wird er der Opposition die Schuld an der Krise geben und könnte bei der nächsten Wahl gestärkt zurückkommen. Bleibt Orbán an der Macht, ist es durchaus vorstellbar, dass er sich – zumindest kurzfristig – wieder der EU zuwendet, um die Krise abzufedern", meint Bozóki. Eine andere Option habe Orbán nicht: Putin hat im Krieg sein Gesicht verloren, und auch das einst so enge Visegrad-Bündnis (Polen, Tschechien, Slowakei) scheint zu bröckeln.
Dennoch ist die Wahl noch nicht entschieden: Ein wesentlicher Teil der Wahlberechtigten (geschätzt bis zu 15 Prozent) ist noch unschlüssig. Und Unterstützer des Oppositionsbündnisses erinnern immer nur allzu gerne an die Bürgermeisterwahl in Budapest 2019: In den Umfragen lag der Fidesz-Amtsinhaber István Tarlós vorne, gewonnen hat der liberale grüne Bürgermeister Gergely Karácsony.
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