Ungarn: Wie Orbán die Pandemie für Gesetzesänderungen nutzt

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Im Corona-Ausnahmezustand regiert der Premier wieder per Dekret und ändert - erneut - die ungarische Verfassung.

Seit 4. November gilt in Ungarn erneut der Ausnahmezustand. Am vergangenen Dienstag hat sich die Regierung vom Parlament die Ermächtigung geholt, zur Bekämpfung der Pandemie per Dekret regieren zu dürfen – wie schon im März.

Grundlegender Unterschied: Die Sonderregelung gilt nicht auf unbestimmte Zeit (was im März im In- und Ausland heftig kritisiert worden war), sondern für die kommenden 90 Tage.

Bereits jetzt liegen Dutzende Vorschläge der Regierung für Gesetzesänderungen vor: ein vorübergehendes Demonstrationsverbot, eine neue Definition von „öffentlichen Geldern“ (was in den Augen der NGO Freedom House die Transparenz verschlechtert) und nicht zuletzt eine Änderung des Wahlrechts: Die neuen Regelungen bedeuten weitere Hürden für die Opposition in Hinblick auf die Wahl 2022, um gegen die übermächtige Regierungspartei Fidesz anzutreten. 

Acht Wochen einsames Regieren

Bereits im Frühling dieses Jahres konnte Orbán acht Wochen lang per Erlass regieren. 118 Dekrete erließ die Regierung damals, teils heftig umstritten, weil sie die Arbeit der Justiz, die Informationspflichten der Behörden und die Rechte der Bürger massiv einschränkten.

Etwa kann durch eine Änderung im Strafgesetzbuch gegen Journalisten und Privatpersonen ermittelt werden, wenn sie falsche oder verunsichernde Meldungen über den Kampf gegen das Coronavirus verbreiten und diesen dadurch behindern (Fake-News-Paragraf).

Andere Dekrete ermöglichen den Missbrauch personenbezogener Daten oder verhindern Journalisten den Zugang zu Behördeninformationen.

Einige der Dekrete ließen nicht erkennen, inwiefern sie sich auf die Coronavirus-Pandemie bezogen, kritisieren Bürgerrechtler.

Zusammenhang nicht erkennbar

Ungarn kämpft, wie die meisten Europäischen Staaten, mit der Coronavirus-Pandemie. Bei knapp 10 Millionen Einwohnern sind derzeit 126.790 Menschen wissentlich mit dem Virus infiziert. 34.040 sind zur Heimquarantäne verpflichtet, das Land zählt mittlerweile 2.784 Corona-Tote. Der Ausnahmezustand und das Regieren per Dekret seien daher  zwingend notwendig, so die Regierung. Doch viele der Gesetzesvorhaben und Verfassungsänderungen lassen – wie bereits im Frühling – den Zusammenhang mit der Pandemie missen.

Das kritisiert auch Dániel Karsai, Verfassungsrechtsexperte aus Ungarn. „Alle Maßnahmen für die Pandemie – bis auf einen Lockdown – hätten auch unter normalen Umständen eingeführt werden können.“ Die Regierung habe eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und kann somit auch davon ausgehen, dass alle Gesetzesvorhaben umgesetzt werden können.

Zusätzlich plant die Regierung Verfassungsänderungen. Etwa diesen Gesetzeszusatz: „Die Mutter ist eine Frau, der Vater ist ein Mann.“ Ziel: Alleinerzieher und gleichgeschlechtliche Paare sollen keine Kinder adoptieren.

Das ist nur eine von mehreren Verfassungsänderungen, die die Regierung plant.  Zum neunten Mal innerhalb von neun Jahren  sind in Ungarn offenbar Änderungen im Grundgesetz notwendig. Das wundert nicht nur Juristen.

Ablenkungsmanöver?

„It’s the rule of law, stupid“, twitterte die ungarische Journalistin Katalin Halmai. Sie vermutet, dass die juristische Keule vor allem auch ein Signal an die EU ist. Denn gerade diese Woche hatten sich EU-Parlament und Rat auf ein Finanzpaket für die kommenden sieben Jahre geeinigt. Darin enthalten: eine Klausel, die besagt, dass Brüssel die Zahlungen an ein Mitgliedsland einfrieren kann, wenn Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vorliegen. Der ungarischen Regierung gefällt das nicht, sie hat angekündigt, das Vorhaben zu blockieren.

Die Gesetzesänderungen, über die jetzt alle sprechen, könnten aber auch ein Ablenkungsmanöver sein, spekuliert Dániel Karsai: „Verfassungsänderungen im Ausnahmezustand? Wirklich? Alle reden jetzt darüber. Niemand über die Corona-Politik der Regierung. Die bis jetzt nicht besonders erfolgreich war.“

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