Systemsprenger
Das ist eine komplette Abkehr von den Regelungen, auf die sich die EU-Staaten nach Putins Invasion der Ukraine geeinigt hatten. 2022 wurden die Visa-Eilverfahren ausgesetzt und die Sicherheitskontrollen ausgebaut, das ganze System EU-weit vereinheitlicht. Dass Ungarn wieder den „Systemsprenger“ gibt, ärgerte EVP-Chef Manfred Weber so sehr, dass er einen Brandbrief an Ratspräsident Charles Michel verfasste. Da die Russen über Ungarn in den ganzen Schengenraum weiterreisen könnten, habe er „ernste Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit“.
Orbán und Weber verbindet eine gewisse Feindschaft; 2019 warf die EVP die ungarische Fidesz-Partei ja hochkant aus der gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament. Doch man muss keine Historie mit dem ungarischen Regierungschef haben, um den Schritt bedenklich zu finden: Die Visaerleichterungen seien „völlig inakzeptabel“, sagt auch Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer zum KURIER, sie spricht von einem „Einfallstor für russische und belarussische Spione in ganz Europa“. Statt europäische Interessen zu verfolgen, mache Ungarn „Politik für Diktatoren wie Putin und Lukaschenko“. Er sei ein Sicherheitsrisiko für Österreich und Europa.
Ähnlich sieht das auch Helmut Brandstätter, EU-Abgeordneter der Neos. Er fordert gar, dass sich die Regierung für einen Ausschluss Ungarns aus Schengen einsetzt, weil Orbán sein Land „in ein ,Reisebüro für Spione’ verwandelt hat“.
Brüssel könnte das durchaus tun, es wäre aber eine Premiere. Auch inwieweit die EU Handhabe über Ungarns Visaregelungen hat, ist noch zu klären. An sich sind Visaangelegenheiten eine Sache der Mitgliedsländer; die Kommission ließ deshalb nur diplomatisch wissen, dass man die Zuständigkeiten mit Budapest klären wolle.
Kontakte bis ins Kabinett
Dort hat man aber ohnehin eine andere Sicht der Dinge. Zoltán Kovács, ein Sprecher Orbáns, nannte die Kritik lediglich eine „Schmierenkampagne“ und „kindische Lüge“.
In Moskau wird man sich angesichts dessen wohl freuen. Ähnlich weit offen stand die Tür für Russen nur ab 2013, da verlieh Budapest „goldene Visa“ an Ausländer, die „Wohnsitzanleihen“ um 360.000 Euro kauften. Sie durften danach fünf Jahre im Schengenraum bleiben; 411 Millionen Euro sollen Fidesz-nahe Firmen so verdient haben.
2017 wurde das Programm auf Druck der EU eingestellt, bis dahin hatte Moskau aber bereits einige wichtige Player in Budapest angesiedelt. Etwa Andrej Naryschkin, den Sohn des Chefs vom russischen Auslandsgeheimdienstes SWR. Er lebte laut ungarischen Investigativrecherchen ausgerechnet in der einer Wohnung, die einem Freund von Orbáns Kabinettschef gehörte – und der war wohl nicht zufällig für die „goldenen Visa“ zuständig.
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