Die Regierung nahm die Chance offenbar wahr, um den Grünen – und regierungskritischen – Stadtchef dafür verantwortlich zu machen. Fidesz fordert eine offizielle Untersuchung des Falles, berichtet das Portal 444.hu.
Frontalangriff auf die Hauptstadt
Doch das genannte Heim ist nicht das erste Seniorenheim mit Corona-Fällen. Zuvor waren laut 444.hu schon Fälle in solchen Einrichtungen im südungarischen Nagymágocs und in Érd, nahe der Hauptstadt, bekannt geworden. Erwähnt wurden sie von Dr. Müller auf den täglichen Pressekonferenzen aber nur kurz.
Doch der Fall in Budapest war gefundenes Fressen für die Kommunikationschefs in Orbáns Regierung. Die Regierung, aber auch die regierungsnahen Medien fingen an, massiv über das Heim und die Corona-Fälle dort zu sprechen und zu posten. Immer mit dem Tenor, dass Karácsony und die Stadtverwaltung die Regeln nicht ausreichend einhalten würden.
Dabei war es Karácsony, der die Regierung mehrmals dazu aufgefordert hatte, dass Menschen, die zuvor im Spital behandelt wurden, nicht ohne Test in Seniorenheime zurückkehren dürfen. Außerdem habe er sich an die Regierung gewandt, um den Mangel an Schutzkleidung zu beseitigen.
Doch laut István Hollik, Kommunikationsdirektor von Fidesz, seien Fehler der lokalen Regierung die Ursache der Knappheit gewesen: "Schutzausrüstung ist nicht rechtzeitig bei älteren Menschen in Pest angekommen, und daher konnten sie die dort ebenfalls infizierten Arbeiter nicht schützen."
Mehr "Macht" den Stadtverwaltungen
Die Stadtverwaltungen werden jetzt mehr in die Regierungsarbeiten eingebunden. „Entgegen allen Berichten sieht die Regierung die Stadtverwaltungen als Partner. Insbesondere bei den Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus“, sagte Kanzleramtsminister Gergely Gulyás.
Vor einer Woche hatte die Regierung noch ein Gesetz einführen wollen, das die Stadtverwaltungen durch so genannte Verteidigungskomitees entmachtet hätte, die offiziell mit dem Kampf gegen das Coronavirus beauftragt sind. Das Gesetz wurde allerdings – unter nationalem und internationalem sowie Fidesz-internem Druck – in letzter Sekunde zurückgezogen. Auch den Bürgermeistern unter Fidesz-Mandat ging dieser Schritt zu weit.
Doch die Regierung dürfte dennoch in der sich verschlimmernden Corona-Krise eine Chance wittern. Die exponentielle Steigerung lässt sich wohl auch in Ungarn nicht aufhalten, weshalb man jetzt den Stadtverwaltungen mehr Handlungsspielraum einräumt. Vermutlich, um sie später für die Verschlechterung der Lage verantwortlich zu machen.
Die Situation sei in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, sagte Viktor Orbán in seinem täglichen Radiointerview: "Deshalb haben wir den Bürgermeistern mehr Bewegungsfreiheit in dieser Situation gegeben." Die Ausgangsbeschränkungen gelten in Ungarn auf unbestimmte Zeit. Die Stadtchefs könnten entscheiden, ob sie sie verschärfen oder nicht.
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