Aufnahme-Leak: Schwere Korruptionsvorwürfe gegen Ungarns Regierung

Ex-Justizministerin Judit Varga.
Auf einer Tonaufnahme soll die ehemalige Justizministerin die Manipulation von Ermittlungsakten in einem der schwersten Korruptionsfälle der Geschichte zugeben.

Nur wenige Wochen nach Bekanntwerden der Begnadigung eines pädophilen Straftäters und den bisher größten Protesten gegen die nationalkonservative Regierung sorgt eine veröffentlichte Tonaufnahme für Aufregung in Ungarn.

Enge Vertraute von Ministerpräsident Viktor Orbán, so der Vorwurf, sollen die Ermittlungsakten eines der schwersten Korruptionsfälle in der Geschichte manipuliert haben.

Einmischung von hochrangigen Politikern

In einer am Dienstagmorgen veröffentlichten, knapp zweiminütige Aufnahme behauptet die ehemalige Justizministerin und Orbán-Vertraute Judit Varga, dass hochrangige Politiker, darunter der aktuelle Kabinettsminister Antal Rogán, belastende Beweise aus der Akte des Schadl-Völner-Falls verschwinden ließ. 

Der Korruptionsfall war im Dezember 2021 ein nationaler Skandal: Der Staatssekretär Pál Völner soll über einen längeren Zeitraum Schmiergelder vom Präsidenten der ungarischen Kammer der Gerichtsvollzieher, György Schadl, angenommen haben. Völner soll als Gegenleistung "konkrete Angelegenheiten" erledigt haben. Sein Name war in der Vergangenheit immer wieder in Verbindung mit Abhörskandalen und der Spionagesoftware Pegasus aufgetaucht. Völner und Schadl stehen derzeit beide vor Gericht.

Rogán soll den Staatsanwälten Vorschläge gemacht haben, was in den Gerichtsakten gestrichen werden soll, was jedoch nicht immer eingehalten wurde, so Varga. Weiters soll Völner bereits im Vorfeld darüber informiert worden sein, dass ein Verfahren gegen ihn angestrengt werde. Gleichzeitig beklagt Varga, dass die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft nicht komplett von der Regierungspartei Fidesz gesteuert würden.

Die im Jänner 2023 aufgezeichnete Aufnahme, die am Dienstag um neun Uhr auf YouTube veröffentlicht wurde, verzeichnete innerhalb weniger Stunden über 160.000 Aufrufe.

Begnadigungsskandal

Hinter der Veröffentlichung steckt eine nicht unumstrittene Figur: Péter Magyar. Der Jurist gehörte einst zum engen Kreis um Orbáns Regierungspartei Fidesz, hatte leitende Positionen in staatlichen Stellen inne – und war mit Ex-Ministerin Varga verheiratet. Bis vor Kurzem spielte er keine Rolle in der politischen Öffentlichkeit. 

Das änderte sich Anfang Februar: Damals musste die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novák zurücktreten, nachdem sie einen Straftäter, der wegen Beihilfe zur Vertuschung eines Falls von sexuellem Missbrauch in einem Kinderheim verurteilt worden war, begnadigt hatte – wohl auf Drängen aus höheren politischen Kreisen. Auch Varga, die bei der Europawahl im Juni Fidesz-Spitzenkandidatin hätte sein sollen, war gezwungen, ihre politische Tätigkeit niederzulegen.

Der 43-jährige Magyar hatte das Zeitfenster genutzt, um öffentlich korrupte Machenschaften der Regierung anzuprangern. Schon im Februar hatte er angekündigt, für seine Vorwürfe Beweise liefern zu wollen.

Péter Magyar war lange im Umkreis von Orbáns Regierungspartei Fidesz tätig gewesen. Am 15. März, dem Nationalfeiertag, konnte er Zehntausende zu einer Demonstration gegen die Regierung mobilisieren. Er hat angekündigt, eine eigene Partei gründen zu wollen.

Péter Magyar war lange im Umkreis von Orbáns Regierungspartei Fidesz tätig gewesen. Am 15. März, dem Nationalfeiertag, konnte er Zehntausende zu einer Demonstration gegen die Regierung mobilisieren. Er hat angekündigt, eine eigene Partei gründen zu wollen

Kurz nach Veröffentlichung behauptet Ex-Ministerin Varga in einem Facebook-Post, von Magyar psychisch misshandelt und zu dem Gesagten gezwungen worden zu sein. Schon vor Wochen waren ähnliche Vorwürfe in den regierungsnahen Medien aufgetaucht. Magyar hatte die Berichte zurückgewiesen. Für Dienstagabend rief Magyar zu einer Demonstration vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft in Budapest auf.

Noch sei unklar, welche politischen Konsequenzen die Aufnahme habe, so ein ungarischer Journalist. Es sei zudem schwierig, in dieser Causa zu unterscheiden, "was politisch relevant und was eine persönliche Abrechnung" gegen "die Mächtigen" und "die Ex-Frau" sei. 

Ministerpräsident Orbán äußerte sich bisher nicht zu der Veröffentlichung. Gergely Gulyás, Minister des Büros Orbáns, sprach von einem "Familienstreit", der in der Öffentlichkeit "nicht zu suchen" habe.

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