Streit um Milliarden für Ukraine: EU rüstet sich für Wirtschaftskrieg mit Ungarn

Streit um Milliarden für Ukraine: EU rüstet sich für Wirtschaftskrieg mit Ungarn
"Ungarn hat vielleicht eine Pistole, aber wir haben die Panzerfaust". Vor dem entscheidenden EU-Gipfel werden harte Sanktionen gegen Budapest vorbereitet.

Attacken gegen die Währung, Blockade von Fördergeldern, Abschrecken internationaler Investoren: Es ist ein Wirtschaftskrieg mit allen Mitteln, den die Vertreter mehrerer EU-Staaten offensichtlich im Geheimen planen. Allerdings richtet er sich nicht gegen eine feindliche Macht, wie etwa Russland, sondern gegen ein Mitglied des eigenen Staatenbundes: Ungarn. Wie die international renommierte britische Tageszeitung Financial Times enthüllt, kursiert ein Strategiepapier in diesen Tagen in Brüssel im EU-Rat, also dem gemeinsamen Gremium der Mitgliedsstaaten.

 Orbans Blockade 

Diesmal sei wirklich "Schluss mit lustig", kommentierte ein EU-Diplomat, der selbstverständlich annonym bleiben wollte, gegenüber dem Nachrichtenportal Politico die Entwicklung der vergangenen Tage. In Brüssel wächst die Nervosität. Am Donnerstag kommen die Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen. Der wurde vor Weihnachten in aller Eile anberaumt, weil Ungarn auf dem regulären EU-Gipfel das mehrjährige EU-Budget und damit zugleich auch die geplanten Hilfsgelder für die Ukraine blockiert hatte.

Es geht um rund 50 Milliarden, die aus dem EU-Budget in den kommenden Jahren nach Kiew fließen sollen. Viktor Orban, der sich in den vergangenen Monaten, als Fürsprecher Russlands profiliert und Putin sogar die Hand geschüttelt hatte, weigerte sich, das abzunicken. Und da das langfristige EU-Budget, aber auch außen- und sicherheitspolitische Fragen in der EU nur einstimmig beschlossen werden können, reichte Orbans Veto aus, um das Ganze lahmzulegen.

Bestechung, dann Drohung

Die EU-Kommission hatte eigens im Dezember - nicht zufällig nur Stunden vor dem EU-Gipfel - einen Teil der "eingefrorenen" EU-Gelder für Ungarn frei gemacht. Rund 20 Milliarden für Ungarn werden zurückgehalten, weil das Land in Justizfragen, aber auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht nach EU-Regeln spielt. Die offizielle Erklärung der EU-Kommission, Ungarn habe erfolgreich erste Reformen durchgeführt, wollte kaum jemand glauben. EU-Parlamentarier sprachen offen von "Bestechung" für Orban.

Hektische Verhandlungen

Allein: Es half nichts. Der ungarische Premier blieb bei seinem Veto. Seither laufen hektische Verhandlungen zwischen Budapest, anderen EU-Hauptstädten wie Paris und Brüssel. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfing Orban zum Gespräch, um einen Kompromiss zu finden. Aus Budapest kommen erste versöhnliche Signale:  Die Regierung in Budapest sei nun offen dafür, das vorgeschlagene Paket im Volumen von 50 Milliarden Euro unter bestimmten Bedingungen über den EU-Haushalt zu finanzieren, sagte Balazs Orban, der politische Chefberater von Orban, am Montag. Ungarn habe Brüssel am Samstag einen entsprechenden Vorschlag überstellt. Gleichzeitig aber wirft Ungarns Minister für EU-Angelegenheiten, Janos Boka, Brüssel Erpressung vor und bezieht sich dabei offensichtlich direkt auf die jüngsten Berichte.

Druck auf die Staatskasse

Wenn Orban also nicht nachgibt, sollten andere EU-Staats- und Regierungschefs öffentlich drohen, alle EU-Finanzierungen für Budapest dauerhaft einzustellen. So würde man die Märkte verunsichern und einen Run auf den ohnehin schwachen ungarischen Forint auslösen. Das massiv verschuldete Ungarn würde so vor einem massiven Anstieg der Kreditkosten stehen. Vertreter des EU-Rates kommentieren den Bericht der Financial Times abwiegelnd. Es seien "nicht offizielle Anmerkungen, die nicht den Stand der aktuellen Verhandlungen über das längerfristige EU-Budget abbilden".  

Ausschlussverfahren

Tatsache aber ist: Im politschen Konflikt mit Ungarn sind immer mehr EU-Staaten bereit, auch zum Äußersten zu gehen. So wird auch hinter den Kulissen über ein sogenanntes "Artikel 7"-Verfahren gegen Ungarn diskutiert: Das ist die in den EU-Verträgen vorgesehene Beschränkung der Rechte eines Mitgliedslandes, das gegen diese Verträge verstößt. Die Strafmaßnahmen reichen vom Entzug von Stimmrechten bis hin zum vorübergehenden Ausschluss aus der Union. In Brüssel läuft dieses Verfahren unter dem makabren Spitznamen "nukleare Option".

Pistole gegen Panzerfaust

Doch vor der schrecken offensichtlich doch viele EU-Spitzenvertreter zurück, so auch Österreich. EU-Ministerin Karoline Edtstadler etwa hat sich gegen die Einleitung eines solchen Verfahrens ausgesprochen: Es führe nur zu endlosen Verfahren, die im Endeffekt im Sand verlaufen würden. Das aber hält EU-Spitzendiplomaten nicht ab, das zumindest als "ernsthafte Möglichkeit" zu beschreiben. Die Geduld mit Orban habe anscheinend ein Ende, kommentiert ein poltiischer Analyst gegenüber der Financial Times und fasst die Stimmung in Brüssel pointiert zusammen: "Ungarn hat vielleicht eine Pistole, aber wir haben die Panzerfaust".

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