Pleite zum 150. Geburtstag: Wer ist schuld an Budapests Bankrott?
Im 150. Jahr ihrer Vereinigung steht die ungarische Hauptstadt vor dem Bankrott. Die drohende Zahlungsunfähigkeit zeigt auf, wie das System Orbán funktioniert.
"Weihnachten hat alles vergeudet!", schreiben die ungarischen, regierungsnahen Medien, wörtlich übersetzt. "Weihnachten" ist eigentlich der Bürgermeister Budapests, Gergely Karácsony, dessen Nachname auf Ungarisch wörtlich eben Weihnachten bedeutet.
Zumindest die Schlagzeilen sorgen für etwas Erheiterung in der sonst ernsten Debatte: Denn die ungarische Hauptstadt steht vor dem Bankrott. Schon Anfang Jänner wurden erste Befürchtungen öffentlich. Jetzt könnte der Stadt im August, just in jenem Monat, in dem die 150 Jahre zurückliegende Vereinigung der Stadtteile Buda und Pest pompös gefeiert wird, das Geld ausgehen. Und je nachdem, wen man fragt, trägt jemand anderes Schuld.
Für die nationalkonservative Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán sowie die regierungsnahen Medien ist es der linksliberale, grüne Bürgermeister: Er habe die Stadt seit seinem Amtsantritt 2019 "heruntergewirtschaftet" und ein Defizit von 86 Milliarden Forint (225 Millionen Euro) angehäuft. Budapest könne nicht einmal mehr seine zehn Milliarden Forint (26 Millionen Euro) Steuern an den Staatshaushalt aufbieten.
Fragt man hingegen die städtische "Anti-Orbán-Regierung" und Oppositionspolitiker, lautet die Antwort: Orbáns Regierung hat der Stadt den Geldhahn zugedreht. Es sei ein politisches Machtspielchen: Während unter dem ehemaligen Fidesz-Bürgermeister nur fünf Milliarden Forint (13 Millionen Euro) pro Jahr an den Staat abgeführt werden mussten, seien es mittlerweile 58 Milliarden (151 Millionen) – das Zwölffache. Deswegen will die Stadt sogar die staatliche Steuerbehörde verklagen.
Es ist, wie so oft in Ungarn, ein Kampf um Zahlen und Fakten. Tatsache jedoch ist, dass die Selbstständigkeit und Selbstfinanzierung ungarischer Gemeinden und Städte besonders seit Orbáns Wahlsieg 2010 extrem eingeschränkt wurde: "Kredite, Investitionen, alles wird von der zentralen Regierung bestimmt. Steuereinnahmen, die früher vollständig an die Städte gingen, gehen heute zur Hälfte an den Staatshaushalt", so der Ökonom und Ex-Parlamentarier Támas Bauer zum KURIER.
Finanzielle Mittel sind Orbáns Zuckerbrot und Peitsche: Regionen, die seit 2019 von Oppositionspolitikern regiert werden – das sind vor allem Städte – beklagen, dass sie von der Regierung etwa keine finanzielle Unterstützung wie Corona- oder Energie-Hilfen bekommen hätten und stattdessen die Abgaben erhöht worden seien; Fidesz-regierte Gemeinden hingegen würden bei Subventionen und Investitionen bevorzugt.
Dazu kommt, dass nächstes Jahr Regionalwahlen anstehen. Auch deswegen will man Oppositionspolitikern wie Karácsony wohl schaden: Der "Anti-Orbán" genießt in der städtischen, traditionell liberalen Bevölkerung hohe Beliebtheit, ein politisches "Umdrehen" Budapests ist nach Bauer unwahrscheinlich, "auch weil Fidesz keinen Kandidaten anzubieten hat".
Nicht nur die Hauptstadt, ganz Ungarn steht schlecht da: Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) prognostiziert dem Land heuer als Einziges in Osteuropa eine Rezession. Die Inflation ist nach wie vor die höchste in Europa (Mai 2023: 21,5 Prozent). Die Reallöhne sanken im April um fast sieben Prozent.
28 Milliarden Euro hält die EU wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gegen Ungarn aktuell zurück. Eine Freigabe ist nicht in Sicht.
"Budapest bleibt das liberale Bollwerk Ungarns. Es war Ausgangspunkt alles Progressiven, aller Revolutionen – nach dem Ersten Weltkrieg, 1956, auch 1989 – und ist es noch heute", sagt Bauer. Eine bittere Pille für Orbán, der vor Jahrzehnten selbst in diesem "Bollwerk" für ein liberales Ungarn kämpfte. "Die Stadt liegt allen Ungarn am Herzen. Das ist nicht wie in Österreich, wo eine Fehde zwischen Tirolern und Wienern besteht. Dass Budapest pleite geht, will eigentlich niemand."
Nach einem Treffen in Budapest im vergangenen Oktober und einen Monat später in Belgrad ist nun Wien an der Reihe: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) empfängt am Freitag seinen ungarischen Amtskollegen sowie Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić. Ziel des als Migrationsgipfel benannten Treffens: "Die starke Achse im Kampf gegen illegale Migration auszubauen und die gemeinsamen Maßnahmen für einen effektiven Grenzschutz weiter zu stärken", so das Bundeskanzleramt. Nach dem Treffen in Belgrad gab Vučić etwa die Zusage, die Visafreiheit für Bürger bestimmter Staaten wie Indien oder Tunesien zu beenden, nachdem die Asylanträge aus diesen Ländern in Österreich massiv angestiegen waren. In Folge sind die Anträge stark zurückgegangen.
Der unabhängige Oppositionspolitiker Ákos Hadházy sagt zum Empfang gegenüber dem KURIER: "Ich würde Österreich empfehlen, Orbán nicht zu hofieren. Wurde vergessen, dass er erst vor Kurzem zahlreiche Schlepper freigelassen hat? Orbán möchte die Migrationskrise nicht lösen, sondern sie für sich nutzen."
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