Ukrainischer Botschafter: "Die Sanktionsdebatte ist unmoralisch"

Wegen der Teuerung werden die Sanktionen infrage gestellt – sie würden nur schaden. Schwindet die Unterstützung für die Ukraine?
Vasyl Khymynets: Die Menschen, die unsere Schutzsuchenden aufgenommen haben, wissen, worum es geht – wie viel Leid der russische Aggressor den Ukrainern antut. Aber ich mache mir Sorgen wegen einiger Politiker, die die Sanktionen missbrauchen, sie instrumentalisieren. Ihnen muss man sagen: Die Sanktionen sind nicht Ursache der Probleme, sie sind nur die Antwort auf Russlands brutale Aggression. Ursache ist der grundlose, brutale Krieg.
Das Dilemma ist: Moskau hat zwar Wirtschaftseinbrüche, aber Putin lenkt nicht ein.
Die Sanktionen wirken zweifellos. Damit sie noch wirksamer werden, müssen alle Schlupflöcher geschlossen werden – Putin kann die Sanktionen noch immer umgehen. Wir haben keine andere Waffe als sie. Sie verhindern, dass er militärisch wieder aufrüstet. Die Sanktionen müssen Russland so schwächen, dass es den Krieg beendet. Wenn der Westen wegschaut wie 2014, stärkt das Putin nur – er wird weitere Verbrechen begehen.
Auch Waffenlieferungen aus manchen Ländern stocken.
Je mehr Waffen wir bekommen, desto schneller können wir den Krieg beenden. Die jüngste Entwicklung an der Front belegt das: Die Russen sind nervös. Seit wir Ziele in besetzten Gebieten effektiv treffen, wird weniger zivile Infrastruktur bombardiert. Klar ist: Wir brauchen Waffen zur Selbstverteidigung, wir wollen kein russisches Gebiet angreifen. Unser Ziel ist, die Ukraine wieder zu befreien.

Vasyl Khymynets (51) ist seit Herbst 2021 in Wien. Ihn ärgern die Rufe nach einem Ende der Russland-Sanktionen.
Ihr Verteidigungsminister hat eine Gegenoffensive im Süden angekündigt. Hat man überhaupt noch Ressourcen?
Der Minister weiß, was er sagt. Aber es geht nicht um Quantität: Ja, die Russen sind uns stark überlegen. Aber uns geht es darum, jedes Menschenleben zu retten. Die Moral ist auf unserer Seite. Das Einzige, was Putin gut macht, ist die Derussifizierung der Ukraine. Die Russen sehen, dass sie nicht gewollt werden. Sie können sich bis jetzt nur mit Waffen und brutaler Gewalt in den besetzten Gebieten behaupten.
Gibt es einen Punkt, wo man auf einen Waffenstillstand hinarbeiten muss? Viele im Ausland dachten, die Ukraine würde nicht durchhalten. Forderungen, Waffenlieferungen einzustellen, Verhandlungen aufzunehmen, sind völlig realitätsfern, dienen nur dem Aggressor – Putin würde sich nur neu aufstellen. Er will die Ukraine und ihr Volk auslöschen. Frieden ja – aber dafür müssen wir an der Front Bedingungen schaffen.
Sie rechnen damit, dass der Krieg noch lange dauert.
Ja, es kann dauern. Das hängt davon ab, wie stark wir durch Partner unterstützt werden. Aber es geht nicht nur um uns: Wenn gesagt wird, man „schiele zu sehr“ auf die Ukraine …
… das hat Wirtschaftskammerpräsident Mahrer zur Sanktionsdebatte gesagt …
… dann muss man sagen: Was ist die Antwort auf Kriegsverbrechen, auf tägliche Raketenangriffe, bei denen viele Menschen, auch Kinder, getötet werden? Solche Debatten sind unmoralisch. Wir wollten diesen Krieg nicht. Wir haben seit 2014 gewarnt, dass Russland das Völkerrecht bricht, dass adäquat zu reagieren ist, um weitere Verbrechen zu verhindern. Unsere Warnungen wurden ignoriert. Im Gegenteil: Man arbeitete verstärkt mit Putin, gab ihm Instrumente in die Hand, um Europa durch Abhängigkeit von Russland zu schwächen. Ich glaube, dass es Geschäfte, wie sie mal gemacht wurden, nicht mehr geben wird. Alle wollen Frieden, aber es wird nicht mehr, wie es war. Putins Ziel ist, weitere Länder in Europa zu beherrschen. Das wird auch hier mehr und mehr erkannt. Dieses Monster muss gestoppt werden, damit es über die Grenze nicht hinauskommt.
Im Herbst, wenn die Heizperiode beginnt, wird die Debatte noch schwieriger. Wir sind uns bewusst, was auf uns zukommt, es werden schweren Zeiten. Die Russen haben das energiepolitische Gefüge durcheinander gebracht, um Europa zu erpressen. Aber ich hoffe auf die Empathie der Leute in Österreich, die verstehen, wie viel Leid der Krieg bringt. Wichtig wäre, dass auch die Menschen in Europa vorbereitet werden. Letztlich ist das ja Putins Taktik: Er will Europa spalten und zerstören. Ich bin zuversichtlich, dass auch auf EU-Ebene Lösungen gefunden werden.
Unterstützt Österreich die Ukraine ausreichend?
Wir sind sehr, sehr dankbar für die starke Solidarität, knapp 80.000 Menschen wurden hier aufgenommen. Sie alle warten nur auf den Tag, an dem sie wieder nach Hause können. Wir verstehen, dass Österreich neutral ist, dass es nur zivile Hilfe geben kann. Diese Hilfe ist aber weiterhin bitternötig.
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