Montagmorgen: Nord Stream 1 steht still. Seit 06:00 Uhr in der Früh strömt kein Gas mehr durch die Pipeline, wie aus der Website des Betreibers hervorgeht. Bis zum 21. Juli fließt hier kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland. Die große Frage, die wie ein Damoklesschwert über der wartungsbedingten Abschaltung schwebt, lautet: Wird Putin den Gashahn wieder aufdrehen – oder bleibt Nord Stream 1 stillgelegt? Letzteres befürchtet etwa der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
An sich ist die Wartung nichts Besonderes. Es handelt sich um eine übliche Instandhaltung, die jedes Jahr vorgenommen wird. Dabei werden die Anlagen an Land in Russland und in Deutschland überprüft, Armaturen, Ventile, Steuerung sowie elektronische und digitale Anwendungen kontrolliert.
Entsprechende Arbeiten hätten in der Vergangenheit auch schon bis zu 14 Tage gedauert. Der 21. Juli ist also ohnedies mehr ein Richtwert als ein Fixdatum.
Alles anders
Heuer ist kriegsbedingt alles anders: Normalerweise wird in der Zeit der Wartung auf Gasreserven für Herbst und Winter zurückgegriffen. Das will man heuer aus Angst vor einer Energieknappheit in den kommenden Monaten vermeiden. Importeure und Händler kaufen deswegen Flüssiggas andernorts ein, doch die Kapazitäten sind ausgeschöpft, die Beschaffung am Kurzfristmarkt ist teuer. Uniper, der größte deutsche Gasimporteur, schloss bereits am Freitag nicht aus, schon ab nächster Woche Erdgas aus seinen Speichern entnehmen zu müssen.
Bereits im Juni hatte Russland seine Gaslieferung durch die Pipeline gedrosselt. Der Grund: eine fehlende Turbine der Firma Siemens Energy, die ihr Werk in Kanada hat.
Kurzzeitig gab es Bedenken, ob diese aufgrund der Sanktionen gegen Russland überhaupt geliefert werden könne. Am Wochenende versicherte die kanadische Regierung, man werde eine Sondergenehmigung erteilen: Die Turbine wird jetzt aus Kanada nach Deutschland und anschließend nach Russland geliefert.
Und dann?
Gehe es Putin um Geld, spekulieren die einen, werde er wahrscheinlich weiterhin liefern, da die Gaspreise ja gerade besonders hoch sind. Russlandexperte Gerhard Mangott relativiert: "Die Öleinnahmen waren für den russischen Staatshaushalt immer wichtiger als Gas", sagt Mangott gegenüber der deutschen Welt: "Die Rückgänge der Ölexporte nach Europa wurden durch stärkere Öleinkäufe von China und Indien kompensiert." Wenn das so bleibe, könne es sich Russland leisten, auf die Gaseinnahmen zu verzichten.
Die Unterwasserpipeline in der Ostsee wird jedes Jahr gewartet und dafür im Schnitt zehn Tage still gelegt. Russland lieferte bereits seit Mitte Juni 40 Prozent weniger Gas durch Nord Stream 1 nach Deutschland. Der Grund: eine fehlende Turbine. Die Bundesregierung vermutete ein politisches Motiv.
Österreich ist von der Wartung nur indirekt betroffen: Österreich wird über Pipelines durch die Ukraine beliefert. Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) erwartet dennoch einen deutlichen Lieferrückgang.
Stattdessen könnte Putin darauf spekulieren, dass ein Stopp des Gasflusses nach Europa zu sozialer und politischer Instabilität führe und die Regierungen gezwungen seien, von den Sanktionen abzulassen und sich für eine Beendigung des Krieges zu russischen Bedingungen einzusetzen.
Was Putin wirklich vor hat, lässt sich möglicherweise schon am Montag im Laufe des Tages erahnen: "Wenn Nord Stream 1 gewartet wird, schickt Russland üblicherweise mehr Gas über das ukrainische Leitungsnetz", erklärt Mangott. "Wir werden sehen, ob das heuer auch der Fall sein wird."
Derzeit sendet Moskau noch beschwichtigende Signale und verspricht, die gedrosselte Unterwasserpipeline wieder hochzufahren. "Wenn die Turbine nach der Reparatur kommt, dann erlaubt das eine Zunahme der Umfänge", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag der Agentur Interfax zufolge. Peskow wies einmal mehr den Vorwurf zurück, Russland würde sein Gas als politisches Druckmittel einsetzen.
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