Kiew geht massiv gegen die russische-orthodoxe Kirche vor, weil deren Priester mit Putin kollaborieren. Die US-Republikaner stilisieren das nun zum Krieg gegen die Religionsfreiheit. Doch so einfach ist das nicht.
Man könnte diese Geschichte schlicht als neue Episode im US-Wahlkampf erzählen, mit wütenden Republikanern in der Hauptrolle. Oder wie ein Spionagestück über den KGB, der einst die Orthodoxie infiltrierte. Oder ganz groß: Als Zeugnis dafür, wie viel Macht die Religion hat – und wie sehr Putins Krieg die Welt im Würgegriff hält. Aber eigentlich muss man all das in einem erzählen.
Der Vorwurf
Womit also beginnen? Am besten mit Robert Amsterdam. Der 68-jährige Staranwalt, in den USA eine ziemlich große Nummer, trat kürzlich bei Tucker Carlson auf, also jenem prominenten rechtslastigen Ex-Fox-Moderator, der zuletzt auch Wladimir Putin interviewt hat. Dort bezichtigte er Kiew, die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche "zerstören" zu wollen, sie jetzt per Gesetz verbieten zu wollen – weil sie angeblich mit Putin kollaboriere.
Diesen Vorwurf, immerhin vorgebracht von dem Mann, der mit Ex-Oligarch Michail Chodorkowskij einst Putins größten Feind verteidigte und dafür aus Russland verbannt wurde, sahen immerhin 55 Millionen Zuseher. Daraufhin griffen ihn auch namhafte Republikaner auf: Kiew marschiere in Kirchen ein, hieß es, was die ohnehin umkämpften US-Hilfen für die Ukraine infrage stellte: Dass die jetzt auch noch das Verbot des Christentums finanzieren, ist ein absolutes No-Go, nicht nur bei konservativen Republikanern.
Nur: So einfach ist das alles nicht. Es ist sogar viel komplizierter.
Der Hintergrund
Dass das Parlament in Kiew ein Gesetz vorbereitet, mit dem die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK) komplett verboten werden könnte, stimmt. Sei einem halben Jahr wird darüber debattiert, denn unumstritten ist es auch in der Ukraine nicht.
Wissen muss man dazu aber, dass die Orthodoxe Kirche in der Ukraine nicht gerade unpolitisch ist. Das hat historische Gründe: Waren Kirchen nach der Oktoberrevolution eigentlich verboten, nutzte Stalin den Umstand, dass die Gläubigen sich im Untergrund organisiert hatten: Er durchsetzte die Kirchen mit KGB-Agenten, zur Kontrolle der Bevölkerung.
So wurde die Orthodoxie zu Moskaus langem Arm, und diesen Vorwurf wird sie bis heute nicht los. Belege dafür gibt es genug: Die UOK war bis zum Krieg die größte Kirche des Landes, unterstand aber stets dem Moskauer Patriarchat. Deren Chef, Patriarch Kirill, hat nicht nur angeblich eine KGB-Vergangenheit, er ist auch einer der offensivsten Unterstützer von Putins Invasion. Er nennt sie ganz offiziell „heiliger Krieg“ und verspricht allen Soldaten, von „ihren Sünden reingewaschen zu werden“.
Wenig Wunder also, dass die ukrainischen Behörden nach Kriegsbeginn Priester und Bischöfe massiv ins Visier nahmen. Zwar sagte sich die UOK-Führung ein paar Monate, nachdem Putin seine Panzer losrollen hatte lassen, von Moskau los; kirchenrechtlich wurde die Trennung aber nicht komplett vollzogen. Zudem wurden immer wieder Kollaborationen publik: Erst kürzlich belegte das renommierte britische Institute for the Study of War, dass UOK-Priester schon bei der Invasion der Krim 2014 halfen. Jetzt sind die Vorwürfe seitenlang: Priester, die die Annexion der besetzten Gebiete preisten, russische Soldaten versteckten, Propaganda machten oder zu Kyrills innerstem Kreis gehörten. „Russland benutzt die Kirche und den Klerus für subversive Aktivitäten, Überwachung und Einflussnahme“, sagt der ukrainische Jurist und Demokratieexperte Anton Dykan zum KURIER. Das neue Gesetz sei für ihn schlicht nötig, da eine strafrechtliche Verfolgung der UOK als Ganzes anders kaum möglich sei – sie besteht aus 9000 juristischen Personen, der Aufwand sei unüberschaubar.
Dazu gibt es aber auch eine andere Seite – natürlich. Denn die UOK ist nicht die einzige Kirche der Ukraine. Seit den 1990ern gab es immer wieder Abspaltungen, seit 2018 sogar ein ganz offizielles, von der Regierung gefördertes Gegengewicht – die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU). Sie ist Nutznießerin des Kampfes, der gerade geführt wird: Nicht nur, weil immer mehr Gläubige zu ihr übertreten, sondern auch, weil sie Liegenschaften übernimmt, die der anderen Kirche entzogen werden. Prominentestes Beispiel ist das Kiewer Höhlenkloster, ein Touristenmagnet in der Hauptstadt. Nachdem die Brüder dort die „Auferstehung Russlands“ besangen und Metropolit Pawlow unter Hausarrest gestellt wurde, nutzt es jetzt die Kiew-treue OKU.
Verfolgt die Regierung damit legitime Interessen, wie Anwalt Dykan sagt? Werden Christen verfolgt, wie Amsterdam behauptet? Oder geht es hier ohnehin um etwas anderes?
Der Hintermann
Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg um die öffentliche Meinung, und der wird hauptsächlich in den USA und Europa bestritten – dort, von wo Kiew Geld bekommt. Diesen Kampf beherrscht ein Mann wie Robert Amsterdam perfekt: Er hat schon Internet-Superstar Kim Dotcom vertreten, der mit seinem Datentauschdienst Millionen illegalen Gewinns machte, oder war an der Seite Venezuelas im Kampf gegen die US-Sanktionen.
Jetzt tingelt der wortgewaltige Anwalt nicht nur durch US-Medien, sondern bietet sich auch in Europa als Gesprächspartner an. So auch dem KURIER, dem er im Videotelefonat sagt, „seit den Nürnberger Gesetzen“ habe kein Land in Europa Religion so verfolgt habe wie die Ukraine jetzt. Präsident Selenskij benehme sich „wie Ayatollah Khomeini“, sei schlicht auf rechte Wählerstimmen aus.
Fragt man ihn aber, wieso er sich eigentlich gegen den Kirchenbann engagiere, eröffnet das eine weitere Dimension der Geschichte: Beauftragt wurde er von Wadim Nowinskij, einem Protodiakon der UOK – er ist laut Forbes 1,2 Milliarden Dollar schwer und damit einer der reichsten Ukrainer. Nur: Staatsbürger ist der gebürtige Russe erst seit 2012; verholfen hat ihm dazu Wiktor Janukowitsch, für den er auch im Parlament saß – jener ukrainische Ex-Präsident, den die Maidan-Revolution aus Amt und Luxuspalast fegte und der nun in Putins Obhut im Exil lebt.
Nowinskij, von Kiew wegen seiner Moskaunähe sanktioniert, lebt auch im Ausland, und zwar in der Schweiz. Dort nennen die Medien ihn „Putins Peitsche“ er zelebriert Messen in der russisch-orthodoxen Kirche. Vorwürfe, die allesamt konstruiert seien, sagt Amsterdam: „Mein Klient hat keine Verbindung zu Putin. Er stand gerade mal 90 Sekunden seines Lebens neben ihm.“
Das Fazit
Was nun am Ende übrig bleibt? Dass der Krieg um die Kirchen für jeden Beteiligten ein anderer ist. In den USA ist es ein Kampf um die öffentliche Meinung und ums Geld. Für die Ukraine ein Kampf gegen russischen Einfluss. Und für die Russen ein Beweis für die Entrussifizierungspolitik der Ukrainer.
Einfache Antworten gibt es also auch hier nicht. Vielleicht aber auch einfach nur, dass in diesem Krieg absolut gar nichts mehr heilig ist.
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