Warum Russland vom Bauern-Aufstand in Europa profitiert
In unserer Reihe "Warum sollte mich das interessieren?" behandeln Ingrid Steiner-Gashi und Evelyn Peternel Themen, die manchmal noch weit weg erscheinen, für jede und jeden hier in Österreich jedoch große Bedeutung haben.
Die Botschaft der Bauern war klar, in Warschau wie in Paris: „Ukrainische Produkte bringen uns um“, riefen die Landwirte über Wochen der Politik entgegen. Weil der Agrarriese seine Produkte in Europa ungehindert an den Mann bringen durfte, die Preise nach und nach verfielen, blockierten polnische Bauern die Grenze, sogar Transportzüge wurden überfallen.
Der Druck hat gewirkt. Am Donnerstag werden die EU-Staats- und Regierungschefs Quoten für ukrainische Produkte beschließen, einen Deckel gewissermaßen. Erfasst sind zunächst Eier, Geflügel, Zucker sowie Mais, Hafer, Grütze und Honig. Getreide, das Hauptexportgut der Ukraine, ist vorerst nicht betroffen, das könnte aber bald kommen: Kommt es zu Marktverzerrungen, treten Schutzzölle in Kraft.
Rekordernten
Allein: Ob die europäischen Bauern damit wirklich gewonnen haben, die Preise für ihre Produkte also wieder steigen, ist fraglich. Denn den Weltmarktpreis bei Weizen beeinflusst weniger die Ukraine als - Russland.
Mit Kriegsbeginn ist Moskau zum Weltmarktführer bei Weizenexporten angewachsen, dank der - freilich kriegsbedingten - massiven Ernteausfälle der Ukraine und zweier Rekordernten in Folge. Der Effekt: Russland flutete den Weltmarkt mit Weizen, die Preise fielen und fielen. Heute liegt der Weizenpreis fast ein Drittel unter dem Vorkriegsniveau.
Die „stille Waffe“
Das war kein Zufall, wie man jetzt weiß. „Russland nutzt seine Agrarexporte als Soft Power“, schreiben schreiben die Experten Caitlin Welsh und Joseph Glauber vom Center for Strategic and Internationals Studies in einer neuen Analyse. Durch Moskaus Schwarzmeerblockade konnte die Ukraine kaum mehr in Richtung Afrika exportieren, diese Märkte hat sich Russland ganz bewusst gesichert - mit teils umstrittenen Methoden.
Moskau hat etwa hunderttausende Tonnen Getreide kostenlos in autoritäre Regime in Afrika und Asien geliefert, um Abhängigkeiten zu schaffen. In Brasilien oder Mexiko, die mit massiven Ernteausfällen zu kämpfen hat, ist Russland mit unterpreisigen Lieferungen eingesprungen. Marokko und Algerien änderten sogar ihre Importregeln, um aus der französischen Weizen-Abhängigkeit zu kommen - und Getreide aus Russland zu beziehen.
Die Ukraine, die ihre Schiffe kaum durchs Schwarze Meer brachte, exportierte ihr Getreide dadurch mehrheitlich nach Europa. Die Folge war der Zorn der fünf „Frontstaaten“ Polen, der Slowakei, Rumänien, Ungarn und Bulgarien, und das war durchaus Kalkül. Ex-Präsident Dmitrij Medwedew sagte schon Anfang 2022, Lebensmittel seien Russlands "stiller Waffe“, Putin selbst im Sommer vergangenen Jahres, dass man die Ukraine vom Weltmarkt verdrängen will.
EU importiert russisches Getreide
Das gelingt Russland mehr und mehr. Beschließt die EU am Donnerstag ihre Lieferquoten, ist das ein weiterer kleiner Sieg für Moskau: Durch die Deckelungen entgehen der Ukraine Milliarden an Steuereinnahmen, die Kiew eigentlich für den Krieg gegen Russland brauchen würde.
Für massiven Zorn in der Ukraine sorgt aber auch ein anderer Umstand. Russland verkauft nämlich währenddessen seinen Weizen ungehindert an Europa. Russisches Getreide ist nicht sanktioniert, weshalb Spanien, Italien und auch Frankreich bisher ohne viel Aufhebens russischen Weizen einführen.
Nun soll zumindest geprüft werden, ob es auch hier Restriktionen geben könnte. Man werde demnächst einen „Vorschlag vorlegen“, hieß es seitens der Kommission.
Kommentare