Gegenoffensive: Ukraine vor bedeutendem Vorstoß mit Tausenden Reservisten
Bei ihrer seit rund sieben Wochen andauernden Gegenoffensive haben die ukrainischen Streitkräfte laut einem Bericht der New York Times ihren bislang wichtigsten Vorstoß gegen die russischen Invasoren begonnen.
Daran seien im Südosten des Landes Tausende teils vom Westen ausgebildete und ausgerüstete Soldaten beteiligt, die bislang in Reserve gehalten worden seien, berichtete die US-Zeitung am Donnerstag unter Berufung auf zwei ungenannte Pentagon-Beamte.
Es gelte, durch von Russland gelegte Minenfelder und andere Barrieren in Richtung Süden zur Stadt Tokmak und, wenn möglich, bis ins etwa 40 Kilometer von der Küste entfernte Melitopol vorzudringen.
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In diesem Artikel finden Sie weiters:
- Russland mit neuer Angriffswelle
- Selenskij: Gute Fortschritte an der Front
- Erneut Angriffe auf Odessa
- Afrika-Gipfel: Getreidelieferungen Thema
Vorstoß könnte drei Wochen dauern
Ziel sei es, die Landbrücke zwischen der russisch-besetzten Ukraine und der Halbinsel Krim zu durchtrennen oder zumindest so weit vorzurücken, dass die strategisch wichtige Halbinsel in Reichweite der ukrainischen Artillerie gerate. Die Schwarzmeerhalbinsel wurde 2014 von Russland annektiert.
Der Vorstoß könne bei einem erfolgreichen Verlauf bis zu drei Wochen dauern, hieß es unter Berufung auf ukrainische Beamte weiter. Das Weiße Haus und das Pentagon beobachteten die Aktivitäten genau.
"Dies ist der große Test", zitierte die New York Times einen hochrangigen Beamten. Die Washington Post berichtete ebenfalls über einen neuen Vorstoß des ukrainischen Militärs mit dem Ziel, das Asowsche Meer zu erreichen.
Auch das US-Institut für Kriegsstudien ISW in Washington schrieb von einer bedeutenden ukrainischen Gegenoffensive im Westen des Gebiets Saporischschja. Dabei seien anscheinend einige russische Verteidigungsstellungen südlich von Orichiw durchbrochen worden.
Allerdings warnte das Institut am Mittwoch, dass westliche offizielle Erwartungen auf schnelle ukrainische Vorstöße weckten, die die ukrainischen Streitkräfte wahrscheinlich nicht erfüllen könnten.
Das ISW gehe zwar weiter davon aus, dass die Ukraine bei ihren Gegenoffensiven erhebliche Fortschritte erzielen könne, aber über einen langen Zeitraum hinweg.
Russland mit neuer Angriffswelle
Russland hat den Westen der Ukraine mit einer neuen Angriffswelle überzogen.
Der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Jurij Ihnat, sagte am Mittwoch im Fernsehen, dass Raketen in das Gebiet Chmelnyzkyj geflogen seien, wo sich auch ein Militärflughafen befindet.
Bis zum Abend wurden den Angaben der ukrainischen Luftwaffe zufolge insgesamt 36 Marschflugkörper abgefangen - darunter auch Geschosse über den Gebieten Kiew, Charkiw und Dnipro.
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Luftalarm war zwischenzeitlich im ganzen Land ausgelöst worden. Ziel der Angriffe sollen ukrainischen militärnahen Quellen zufolge Su-24-Kampfbomber auf dem Militärflughafen Starokostjantyniw gewesen sein.
Die ukrainische Luftwaffe hatte mit Su-24 in den vergangenen Tagen mehrere erfolgreiche Luftschläge mit Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow auf russische Munitionslager auf der seit 2014 annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim durchgeführt.
Der Luftwaffenstützpunkt Starokostjantyniw ist seit dem Beginn der russischen Invasion vor über 17 Monaten vom russischen Militär wiederholt mit Raketen angegriffen worden.
Ob es dieses Mal zu Zerstörungen kam, war zunächst nicht bekannt. "Es gab einige Treffer und einige Raketensplitter fielen", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij später in seiner Abendansprache lediglich. Insgesamt jedoch sei der Angriff abgewehrt worden.
Selenskij: Gute Fortschritte an der Front
Die ukrainischen Truppen haben nach Angaben von Präsident Selenskij deutliche Erfolge errungen. "Übrigens haben unsere Burschen heute sehr gute Fortschritte an der Front erzielt", sagt er in seiner abendlichen Videoansprache. "Gut für sie! Details werden noch bekannt gegeben."
Der Präsident hat wiederholt erklärt, dass die im vergangenen Monat gestartete Offensive im Osten und Südosten des Landes langsamer verläuft, als gewünscht.
Erneut Angriffe auf Odessa
Die russischen Streitkräfte haben nach ukrainischen Angaben in der Nacht auf Donnerstag erneut Hafenanlagen in der Region Odessa beschossen. Es seien Raketen auf die Anlagen abgefeuert worden, teilt Oleh Kiper, der Gouverneur der im Süden der Ukraine gelegenen Region, mit.
Ein Wachmann sei getötet worden. Zudem sei ein Frachtterminal beschädigt worden.
Seit Russland am Montag vergangener Woche das Getreideabkommen ausgesetzt hat, haben seine Truppen wiederholt die Häfen der Ukraine am Schwarzen Meer angegriffen. Die Vereinbarung war im vergangenen Juli von der Türkei und den Vereinten Nationen vermittelt worden.
Sie sieht vor, dass die Ukraine trotz des von Russland begonnenen Krieges durch einen Schutzkorridor im Schwarzen Meer ihr Getreide verschiffen kann und so eine weltweite Ernährungskrise verhindert wird. Vor allem ärmere Länder sind von den Getreidelieferungen der Ukraine abhängig.
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Diese Lieferungen dürften das bestimmende Thema beim am Donnerstag beginnenden zweitägigen Russland-Afrika-Forum sein, zu dem Präsident Wladimir Putin nach St. Petersburg eingeladen hat.
Afrika-Gipfel: Getreidelieferungen Thema
Russland will bei seinem zweiten Afrika-Gipfel, der heute in St. Petersburg beginnt, die Zusammenarbeit mit den Staaten des Kontinents ausbauen.
Im Mittelpunkt stehen dabei auch russische Lieferungen von Getreide und Dünger in afrikanische Länder, nachdem Moskau das Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer aufgekündigt hatte.
Russland sieht sich wegen der Seeblockade in seinem Krieg gegen die Ukraine international in der Kritik, dem Weltmarkt große Mengen an Weizen und Mais zu entziehen und so Lebensmittelpreise in die Höhe zu treiben. Das Getreide aus der Ukraine gilt wie das aus Russland als wichtiger Beitrag im Kampf gegen den Hunger in der Welt.
Neben Fragen der Ernährungssicherheit geht es bei dem bis Freitag dauernden Gipfel für Russland auch um einen Ausbau des Handels. Russland gilt als wichtigster Waffenlieferant Afrikas.
Putin will bei den Treffen mit Staats- und Regierungschefs mehrerer afrikanischer Staaten zudem zeigen, dass er trotz seines Angriffskrieges international nicht isoliert ist.
Er wolle auch die im Juni in St. Petersburg begonnenen Gespräche zur Friedensinitiative afrikanischer Staaten für eine Lösung des Konflikts um die Ukraine fortsetzen, teilte der Kreml mit.
Vertreten sind laut Kreml 49 der 54 Länder des Kontinents. Nur aus 17 kommen demnach Staats- und Regierungschefs. Das sind weniger Teilnehmer als bei der Gipfelpremiere 2019.
Der Kreml hatte dem Westen vorgeworfen, Druck auf die Länder auszuüben, damit sie dem Treffen fernblieben. Verabschiedet werden soll erneut eine Gipfelerklärung - wie 2019 in Sotschi am Schwarzen Meer.
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