Pentagon warnt vor einer neuen russischen Militäroffensive
Das US-Verteidigungsministerium sieht die russische Ankündigung, die Kampfhandlungen im Norden der Ukraine deutlich zu drosseln, als taktisches Manöver und warnt vor einer neuen Militäroffensive in anderen Landesteilen. Man dürfe sich trotz der russischen Erklärung "nichts vormachen", sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby, am Dienstag. Auch die ukrainische Militärführung betrachtet den Abzug russischer Truppen nördlich von Kiew nur als Umgruppierung.
Es sei bisher nur zu beobachten, dass sich "eine sehr kleine Zahl" russischer Truppen nördlich von Kiew von der Hauptstadt wegbewege, erklärte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. "Wir sind nicht bereit, die russische Begründung zu glauben, dass es ein Abzug ist." Es sei möglich, dass die Soldaten dort nur abgezogen würden, um in einem anderen Teil der Ukraine, etwa der umkämpften östlichen Donbass-Region, eingesetzt zu werden. "Wir glauben, dass es sich um eine Repositionierung handelt, nicht um einen Abzug, und dass wir alle vorbereitet sein sollten, eine größere Offensive gegen andere Teile der Ukraine zu erwarten", erklärte Kirby.
"Die Bedrohung für Kiew ist nicht vorbei"
Die russischen Streitkräfte seien mit ihrem Versuch, Kiew einzunehmen, "gescheitert" und befänden sich angesichts der Gegenangriffe der Ukrainer in defensiven Positionen. Russland könne Kiew aber weiter aus der Ferne mit Raketen beschießen, warnte Kirby. "Die Bedrohung für Kiew ist nicht vorbei", betonte Kirby. Die USA seien "nicht überzeugt", dass sich die Bedrohungslage für Kiew infolge der russischen Ankündigung bedeutend verändert habe. Kirby wollte sich nicht dazu äußern, wie viele Soldaten Russland von Stellungen bei Kiew abzieht. "Was ich Ihnen sagen kann ist, dass die große Mehrheit der bei Kiew versammelten Kräfte noch dort ist", sagte er.
Auch US-Präsident Joe Biden reagierte auf die russische Ankündigung, die Kampfhandlungen im Norden der Ukraine deutlich zu drosseln, zurückhaltend. Er wolle die Aussagen nicht bewerten, bis er "die Handlungen" der russischen Streitkräfte sehen werde, so Biden im Weißen Haus. "Wir werden sehen, ob sie das umsetzen, was sie vorschlagen." Bis es eine tatsächliche Veränderung gebe, werde der Druck auf Moskau mit "harten Sanktionen" weiter aufrechterhalten und auch das ukrainische Militär werde weiter unterstützt, erklärte Biden.
Die ukrainische Militärführung bewertete den "sogenannte Truppenabzug" ebenfalls eher als eine Rotation von Einheiten. Auch solle damit ein falsches Bild von dem angeblich eingestellten Plan zur Einkesselung Kiews geschaffen werden, teilte der ukrainischeGeneralstab in der Nacht zum Mittwoch mit. Das russische Militär habe einige Einheiten aus der Umgebung von Kiew und Tschernihiw abgezogen, hieß es in dem Lagebericht weiter. Doch gebe es Anzeichen, dass diese Einheiten an anderer Stelle im Osten der Ukraine eingesetzt werden sollen.
"Geschockte" Russen
Vitali Klitschko, Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, forderte als Basis für Gespräche mit Moskau den Abzug aller russischen Truppen. Bei "Bild" sagt Klitschko: "Wir können über Normalisierung sprechen, wenn jeder russische Soldat aus unserem Land raus ist." Der Ex-Boxweltmeister erklärte außerdem, dass die ukrainischen Soldaten "eine gute Antwort" auf die russischen Angriffe gegeben hätten und "den Mythos um die stärkste Armee der Welt vollkommen ruiniert" hätten. "Die Russen waren nicht überrascht, die waren geschockt, weil keiner erwartet hat, dass die ukrainische Armee eine gute Antwort geben kann an den Aggressor."
Die russischen Streitkräfte beschossen unterdessen den Militärflughafen von Starokostjantyniw in der Westukraine und zerstörten die dortigen Treibstoffvorräte vollständig. "Wir werden seit dem ersten Tag des Krieges mit Raketen beschossen, aber heute (...) war der Angriff sehr ernst und hat erheblichen Schaden verursacht", postete der Bürgermeister der Stadt, Mykola Melnytschuk, auf Facebook. Demnach wurden die gesamten Treibstoffvorräte der Stadt zerstört.
Bei einem russischen Angriff auf die Regionalverwaltung in der südukrainischen Stadt Mykolajiw wurden nach ukrainischenAngaben sieben Menschen getötet und 22 weitere verletzt. Auf Wohngebiete in der Hauptstadtregion Kiew seien innerhalb von 24 Stunden mehr als 40 Raketen niedergegangen, erklärte die Militärverwaltung im Online-Dienst Telegram.
Nach neuen Friedensgesprächen mit der Ukraine hatte Russland am Dienstag zugesagt, seine Kampfhandlungen bei Kiew und Tschernihiw deutlich zurückzufahren. Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin meinte nach einem Treffen in Istanbul, seine Regierung wolle so Vertrauen aufbauen und weitere Verhandlungen ermöglichen.
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