Dreihundert Kampfpanzer und sechshundert bis siebenhundert schwerere und stärkere bewaffnete Schützenpanzer dazu. Diese Anzahl ist laut der ukrainischen Armeeführung notwendig, um im Ukraine-Krieg eine Trendwende einleiten zu können.
Derzeit erwägt die britische Regierung, zehn Challenger 2-Kampfpanzer zu liefern, die USA werden fünfzig Bradley-, Deutschland vierzig Marder-Schützenpanzer liefern. Sollten die zehn Challenger kommen, könnte die Ukraine damit nicht einmal eine Panzerkompanie aufstellen – dafür wären 13 Kampfpanzer notwendig. Ein ukrainisches Panzerbataillon besteht aus 40 Kampfpanzern und das rollt an einer Front von etwa 1.000 Metern vorwärts. Die Front in der Ukraine ist aber etwa 1.000 Kilometer breit. Vor dem Krieg verfügte allein die ukrainische Panzertruppe über 16 Panzerbataillone.
Ein Blick auf die bisherigen Panzer-Verluste der russischen wie ukrainischen Streitkräfte verdeutlicht das Größenverhältnis der angekündigten Panzer-Lieferungen: 1.610 russische Panzer wurden laut der niederländischen Open-Source-Intelligence-Website Oryx seit Beginn des russischen Angriffskrieges entweder zerstört, erbeutet oder beschädigt. Auf ukrainischer Seite sind es 443.
Experten vermuten, dass London damit eine Debatte über weitere Kampfpanzerlieferungen an die Ukraine anregen möchte. Dass diese Taktik Erfolg haben kann, zeigt die späte Bereitschaft Deutschlands, die Marder zu liefern. Gleichzeitig wird darüber diskutiert, der Ukraine auch Leopard 2-Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen.
Dieser dürfte vor allem den russischen T-64-Panzern im Feld überlegen sein – doch derzeit werden von russischer Seite massive Panzertransporte in Richtung Frontlinie gemeldet, darunter moderne T-90-Kampfpanzer. Wie bereits bei der Lieferung von Luftabwehrsystemen scheint es, als reagierte der Westen auf russische Initiativen.
Die Initiative auf dem Schlachtfeld liegt derzeit ebenfalls in russischer Hand: Stetig rücken russische Verbände in den Orten Bachmut und Soledar im ostukrainischen Donbass vor, täglich soll dort auf beiden Seiten ein Bataillon (600-800 Soldaten) vernichtet werden. Hauptsächlich durch Artilleriebeschuss – und auch auf diesem Gebiet haben die russischen Streitkräfte die Initiative (siehe Grafik).
Vor dem Krieg hatte Russland 17 Millionen Stück Artilleriemunition zur Verfügung. Davon verschießt es derzeit täglich 20.000 Stück. Im Sommer waren es zeitweise 50.000 bis 60.000 – womit die russischen Streitkräfte innerhalb von zwei Tagen das Munitionsarsenal von Großbritannien leergeschossen hätten.
Insgesamt zehn Millionen Stück an Artilleriemunition dürfte Russland bisher verbraucht haben.
Laut dem Chef des estnischen Militärgeheimdienstes, Oberst Margo Grosberg, kann Russland – unter erheblichem Aufwand – täglich 9.000 Stück Artilleriemunition produzieren. Die Ukraine wiederum verschießt zwischen 4.000 und 6.000 Stück Artilleriemunition pro Tag – 500 können die USA derzeit täglich produzieren. Das kommt unter anderem daher, dass die russische Rüstungsindustrie größtenteils verstaatlicht ist.
In puncto Mannstärke ist Russland – bei allen Schwächen und Moralproblemen der Bodentruppen – ebenfalls stark überlegen: Sollten die Verluste in Höhe von 100.000 Soldaten zutreffen, stehen den Streitkräften allein durch die Teilmobilmachung vom Herbst 200.000 zusätzliche Kämpfer zur Verfügung.
Der ukrainische Militärgeheimdienst rechnet zudem damit, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in den nächsten Wochen eine weitere Einberufung bekannt geben wird – dann könnten noch einmal 500.000 neue Soldaten kommen. Insgesamt stünden Moskau 30 Millionen Reservisten zur Verfügung. Damit kann die Ukraine – auch wenn sie derzeit zum fünften Mal mobilisiert – auf keinen Fall mithalten.
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