"Kriegstreiber! Kriegstreiber!“, schreien sie ihm entgegen. Olaf Scholz spricht laut, schreit fast, die Hände zu Fäusten geballt.
Dass der deutsche Kanzler am 1. Mai als Kriegshetzer beschimpft wird, damit hätte vor ein paar Wochen wohl keiner gerechnet. In Sachen Ukraine galt der SPDler lange zögerlich, sein Nein zu schweren Waffen brachte sogar die Ampelkoalition ins Wanken.
Seit er sich jetzt doch zur Lieferung einiger Panzern durchgerungen hat, kommt plötzlich Gegenwind von der anderen Seite. Eine Initiative um Frauenrechtsikone Alice Schwarzer fordert ihn nämlich auf, die Lieferungen wieder einzustellen: Das „könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen“, argumentieren die 28 Unterzeichner in Schwarzers Zeitschrift Emma. Sie fürchten die „unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs“, der Westen liefere Putin „ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln“.
In Deutschland hat das eine Debatte vom Zaun gebrochen, die über die Frage „Waffen oder nicht?“ hinausgeht. Es geht um die Positionierung in der Welt – um die Identität, die sich das Land nach Kohl, dem Versöhner mit dem Osten, und Merkel, der Verwalterin dieses Erbes, geben will. Bleibt das Land der Riese, der sich aus historischer Verpflichtung stets zurückhielt? Oder wächst das Land in die Rolle auf der Weltbühne, die ihm seine globale Wirtschaftsmacht schon lange abverlangt?
Die Konfliktlinien werfen nicht nur das Parteiengefüge durcheinander, sie gehen auch entlang der Generationen. Diejenigen, die die Angst vor dem Atomkrieg aus dem Kalten Krieg kennen, stehen Nachgeborenen gegenüber, bei denen die Erpressung Putins keine Erinnerung mehr auslöst – und die das für schlichte Taktik halten. Man könnte sagen: Boomer gegen Millennials.
Festmachen lässt sich dieser Konflikt am besten an zwei Personen – an Schwarzer, die knapp 80-jährig eine Reihe prominenter Befürworter hinter sich hat – Reinhard Mey, Martin Walser, Dieter Nuhr, Gerhard Polt oder Peter Weibel. Auf der anderen Seite steht die Grüne Annalena Baerbock, gerade mal 41 Jahren, und als Außenministerin die junge Generation in Person – und Symbol des Wandels der Grünen weg von der Pazifistenpartei: 1999 warfen verstimmte Grüne Joschka Fischer für sein Ja zum Bundeswehr-Einsatz im Kosovo noch Farbbeutel an den Kopf warfen, jetzt beklatschen sie ihre Parteichefin mit Stahlhelm und Schutzweste an der Front.
Der verbale Kampf der beiden Lager vollzieht sich in den traditionellen und sozialen Medien. Der Spiegel etwa schreibt etwa von der „Stahlgewitter-Rhetorik“ der Grünen, Jürgen Habermas, Deutschlands Vorzeige-Philosoph, bekrittelt in der Süddeutschen die Grüne als „Ikone“ der neuen Kriegsbegeisterung.
Schwarzer hingegen wird in der FAZ als „empathiefrei“ gegeißelt, ihr Text als „Kapitulationsaufforderung“ gelesen, die Mord, Vergewaltigung, Folter in Kauf nehme. Im Spiegel muss sie sich sogar urfeministische Kritik anhören: Dass sie behauptet, der Westen liefere Putin mit den Waffen ein Motiv für seine Verbrechen, sei auch als „Hätte sie halt nicht so ein tiefes Dekolleté tragen sollen“-Argument bekannt. Und selbst Kanzler Scholz, der in der Debatte wie zwischen die Fronten geraten wirkt, trat am 1. Mai heftig gegen die Emma-Kritik auf. „Zynisch“ und „aus der Zeit gefallen“ sei es, wenn man sage, die Ukraine solle sich gegen die Putin’sche Aggression ohne Waffen verteidigen.
Wohlwollender wird die Debatte freilich in Russland aufgenommen. Dort schafften es der Emma-Brief und des Kanzlers Nöte in die großen Boulevardblätter. Der Tenor: Wie Gelehrte den deutschen Kanzler belehren – und er für seine Politik ausgebuht wird.
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