Ukraine berichtet über Aufmarsch an russischer Küste
Kriegsgeheul oder die Vorboten eines neuen Krieges? Ukrainische Grenztruppen berichteten am Montag in der Früh über einen Aufmarsch gepanzerter Fahrzeuge an der russischen Küste gegenüber der Krim. Diese bezögen Stellung bei einem Fährhafen auf der russischen Seite eines nur wenige Kilometer breiten Kanals, der die Krim von Russland trennt, sagte ein Sprecher. Russland blockiere zudem das Mobilfunknetz in Teilen der Krim, so die Grenzposten. Russische Schiffe hätten zudem mit Manövern im Schwarzen Meer vor Sewastopol begonnen. Die russische Schwarzmeerflotte ist in der Hafenstadt auf der Krim stationiert.
Die russischen Aktionen auf der Krim hatten schon zuvor einen internationalen Aufschrei verursacht. Russland hat am Wochenende faktisch die Kontrolle über die Krim übernommen. Der ukrainische Neo-Premier Arseni Jazenjuk sprach von einer "Kriegserklärung" Moskaus und bat die NATO um militärischen Beistand. "Wir stehen am Rande einer Katastrophe."
Moskau gießt auch weiterhin Öl ins Feuer; Ministerpräsident Dmitri Medwedew erklärte am Montag via Facebook, Viktor Janukowitsch sei "laut der Verfassung noch immer der legitime Staatschef" der Ukraine. Die Übergangsregierung werde nicht anerkannt.
G-7-Staaten verurteilen russisches Vorgehen
Alle sieben führenden Industrienationen (G-7) setzten als Konsequenz aus der russischen Intervention auf der Krim ihre Vorbereitungen auf das geplante G-8-Treffen in Sotschi in Russland aus. Die G-8 ist der Zusammenschluss der sieben führenden Industrienationen und Russlands. In der Erklärung der G-7 (USA, Deutschland, Japan, Kanada, Frankreich, Italien und Großbritannien) wird das aggressive russische Vorgehen auf der Halbinsel als "klare Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine" und Verstoß gegen internationale Verpflichtung verurteilt. Die G-7-Staaten und die EU rufen Moskau außerdem auf, etwaige Sicherheits- oder Menschenrechtsbedenken direkt in Kiew anzusprechen oder eine Vermittlung oder auch Beobachtung durch die Vereinten Nationen oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu akzeptieren.
"Wir stehen bereit, bei diesen Bemühungen zu helfen", heißt es in der Erklärung. Alle Beteiligten müssten für einen Abbau der Spannungen sorgen.
Da aber die russischen Handlungen auch die Prinzipien und Werte der G-7 und G-8 verletzten, würden die Vorbereitungen auf den im Juni geplanten Sotschi-Gipfel ausgesetzt, "bis es wieder ein Umfeld gibt, in dem die G-8 zu bedeutsamen Diskussionen in der Lage sind". Bereits zuvor hatten mehrere Staaten die Vorbereitungen für Sotschi auf Eis gelegt.
Die Europa-Beauftragte der US-Regierung, Victoria Nuland, reist am Montag zudem zu Gesprächen mit der OSZE nach Wien. Nach Angaben eines US-Regierungsvertreters will sie über eine mögliche Beobachtermission für die Ukraine sprechen.
Alarmbereitschaft in Kiew
Kiew mobilisierte am Sonntag alle Reservisten und sperrte den Luftraum für Militärflugzeuge. Nachdem Putin von der Duma einen Freibrief für einen unbegrenzten Militäreinsatz in der Ukraine erhalten hatte, ist die ukrainische Armee in Alarmbereitschaft.
Damit kann der Kreml-Chef offiziell und jederzeit, wann und wo er es in der Ukraine für richtig hält, militärisch zuschlagen. Aus Sicht des Russland-Experten Gerhard Mangott eine "Drohkulisse". Putin wolle die Kiewer Führung auf Kurs bringen. Und der laute: kein NATO-Beitritt, kein Vertrag mit der EU gegen russische Wirtschaftsinteressen (siehe unten).
Eben bei diesen wollen die USA jetzt Putin treffen. Außenminister Kerry warnte Moskau vor Handelssperren, Einfrieren von Vermögen, Reiseverboten und auch dem Rauswurf aus der G-8-Gruppe. Im CBS-Interview wetterte Kerry, man könne "nicht aus frei erfundenen Gründen in einem anderen Land einmarschieren". (Nicht bedenkend, dass eben dies den USA im Irak-Krieg gegen Saddam Hussein vorgeworfen wird.) Kerry will nun zur Unterstützung der Ukraine nach Kiew reisen.
Proteste gegen Putins Ukraine-Einsatz
In der Nacht hatte Präsident Obama in einem 90-minütigen Telefonat mit Putin die Verletzung der ukrainischen Souveränität und des Völkerrechts vorgeworfen. Ein ähnlich verlaufendes Telefonat führte die deutsche Kanzlerin Merkel mit Putin.Putin entgegnete, dass Russland seine Interessen im Osten der Ukraine und auf der Krim verteidigen werde. Und einmal mehr kann Russland auf die Unterstützung durch China vertrauen.
Start zu Olympia-Ende
Nach Informationen des Magazins The Economist hatte Putin schon am Tag der Abschlussfeier der Olympischen Spiele in Sotschi die ersten russischen Soldaten auf die Krim geschickt. Mittlerweile sollen zusätzlich zur dort stationierten Schwarzmeerflotte 16.000 russische Elitesoldaten auf der Krim gelandet sein. Sie kontrollieren sämtliche strategischen und politischen Einrichtungen und umstellen auch Kasernen. Dem stehen 14.000 ukrainische Soldaten auf der Krim gegenüber – so sie dem Befehl aus Kiew überhaupt folgen. Medien zufolge sind sie in Scharen zu Russland übergelaufen, darunter der neue Marinechef. Gut möglich, dass sie – wie Mitglieder der Sonderpolizei Berkut – medienwirksam russische Pässe überreicht bekommen.
Russische Medien zeichnen ein düsteres Bild für die Krim-Russen. So berichteten mehrere Agenturen, dass in den vergangenen Wochen 675.000 Ukrainer nach Russland gekommen seien. Itar-Tass sprach von Hinweisen auf eine "humanitäre Katastrophe". Der 1. Kanal belegte die "Flucht" mit Bildern einer Autoschlange vor der ukrainisch-polnischen Grenze.
Jetzt, wo Putin die Krim kontrolliert, wird alles gut – so die Medien-Botschaft der Russen. Sie sehen Berichte aus Sewastopol, wo Kosaken- und Matrosen-Chöre und aus Russland angereiste Popgruppen für gute Laune sorgen. Die Mehrheit der Krim-Bevölkerung will zurück ins "Mutterland" Russland. Die pro-russische Krim-Führung verkündete nun als Ziel einen unabhängigen Staat. Das Referendum findet am 30. März statt.
Gerhard Mangott ist Österreichs renommiertester Russland-Experte. Der KURIER bat ihn um Einschätzung der Vorgänge auf der Krim.
KURIER: Wie groß ist die Kriegsgefahr zwischen Russland und der Ukraine?
Gerhard Mangott: Die russische Besetzung der Krim hat längst begonnen. Die Marineinfanteristen der Schwarzmeerflotte und die zusätzlich in den letzten Tagen auf die Krim transferierten russischen Soldaten haben alle strategischen Einrichtungen eingenommen. Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind jetzt 15.000 russische Soldaten auf der Krim im Einsatz. Moskau verstößt damit eindeutig gegen gleich drei völkerrechtliche Verträge, darunter der über die Stationierung der Schwarzmeerflotte.
Was passiert mit der Krim?
Ein Verbleib der Krim bei der Ukraine ist nicht mehr denkbar. Dabei geht es Russland nicht so sehr um die Russen oder die russophone Bevölkerung und den Autonomiestatus der Krim, sondern um die Schwarzmeerflotte. Präsident Putin will auf jeden Fall verhindern, dass die neue ukrainische Führung den Vertrag aufkündigt. Russland fürchtet auch, dass die Ukraine den Status der Blockfreiheit aufgeben wird und der NATO beitreten will. Nach der Besetzung wird die Schwarzmeer-Halbinsel sich an Russland anschließen oder als eigenständiger Staat wie Abchasien etabliert.
Wird Putin auch nach der Ostukraine greifen?
Die Krim ist ihm auch ohne Kampfhandlungen sicher. Aber für die Ostukraine – und dafür hat er sich grünes Licht für einen Marschbefehl geben lassen – müsste er einen bilateralen Krieg mit ukrainischen Verbänden führen. Das würde Hunderte Tote und Verletzte auf beiden Seiten bedeuten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin das wirklich will. Zudem ist fraglich, ob selbst die russophone Bevölkerung in der Ostukraine einen offenen Krieg unterstützen würde.
Was will er dann?
Es ist eine Drohkulisse, vor der er die neue ukrainische Regierung zur Bündnisfreiheit zwingen will. Die Ukraine darf aus seiner Sicht keinesfalls der NATO näherrücken oder beitreten. Und dafür will er Fakten schaffen.
Will Putin auch die EU-Annäherung der Ukraine verhindern?
Nicht grundsätzlich. Allerdings wird er einen Assoziierungsvertrag und Freihandelsvertrag mit der EU nur akzeptieren, wenn dadurch nicht die Wirtschaftsinteressen Russlands beschnitten werden.
Das Wort "Krim" kommt aus der Sprache der seit Jahrhunderten dort beheimateten Tataren und bedeutet "Felsen" oder "Festung". Bereits 1783 annektierte Katharina die Große die Krim und erklärte sie "von nun an und für alle Zeiten" zum russischen Gebiet und siedelte gezielt ethnische Russen an. Heute ist die autonome Republik Krim der einzige Landesteil der Ukraine, in dem Russen die große Mehrheit der Bevölkerung stellen. Auch die Hafenstadt Sewastopol machten bereits die Zaren zum Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte. Sie spielt eine entscheidende Rolle im aktuellen Machtkampf.
Stalins Nachfolger Chruschtschow schlug die Krim 1954 der ukrainischen Sowjetrepublik zu. Offiziell blieb man Sowjetbürger, nicht Russe oder Ukrainer. Und auf der Krim hält sich der sowjetische Gedanke hartnäckig: Noch 2008 antworteten fast 15 Prozent der Krim-Bewohner in einer Umfrage nach ihrer kulturellen Identität mit "sowjetisch". Eine Minderheit ist das dennoch: Über die Hälfte der Menschen auf der Krim sah sich als kulturell russisch an. Nur 8,3 Prozent bezeichneten sich als kulturelle Ukrainer.
Wer auf jeden Fall aufseiten der neuen ukrainischen Führung in Kiew steht, sind die Tataren – egal, welche Unsicherheit damit verbunden sein mag. Denn ein Anschluss an Russland ist für die Tataren aus ihrer Erfahrung das schlechteste Szenario.
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