Twitter: Was Elon Musks Abgangs-Inszenierung überdeckt
Wenn er seinen Versprechen Taten folgen lässt, ist für Elon Musk nur zwei Monate nach dem überteuerten Kauf von Twitter (44 Milliarden US-Dollar) die Arbeit an der Spitze des Kurzmitteilungsdienstes schon wieder vorbei. In einer empirisch fragwürdigen Umfrage ließ der 51-Jährige seit Sonntagabend darüber abstimmen, ob er den Chefposten des Unternehmens in San Francisco aufgeben soll. Bis zum Fristende am Montagmorgen klickten 57,5 Prozent der 17,5 Millionen Teilnehmer auf „Ja“.
Der Multi-Unternehmer (Tesla, SpaceX, Neuralink etc.) hat allein auf Twitter 122 Millionen „Follower“. Der Dienst wird nach Unternehmensangaben täglich von rund 280 Millionen Menschen weltweit genutzt. Bei vorherigen Umfragen im gleichen Stil zogen Meinungsforscher die Aussagekraft in Zweifel. Tenor: Es sei nicht auszuschließen, dass „Bots“ (automatisierte Antwort-Programme) mitgestimmt haben.
Außerdem ist bekannt, dass Musk bereits einsam getroffenen Entscheidungen im Nachhinein das Kleid der demokratischen Abstimmung überstülpte. Das gilt etwa für die Frage ans Twitter-Volk, ob er zehn Prozent seiner Tesla-Aktien verkaufen soll.
Suche nach Ersatzperson
Der inszenierte Abgang von der operativen Twitter-Spitze verdeckt auch, dass Musk unlängst in einem Gerichtssaal im Bundesstaat Delaware erklärte hatte, dass er nicht plane, langfristig die Twitter-Führung zu übernehmen, sondern nach einer Ersatzperson suche, auch um sich wieder stärker seinen anderen Unternehmungen wie Tesla widmen zu können.
Ob Musk beim Besuch des WM-Finales am Sonntag in Katar entsprechende Vorstöße unternommen hat, ist nicht bekannt. Musk zeigte sich in einer VIP-Loge neben dem Schwiegersohn von Ex-Präsident Donald Trump, Jared Kushner. Der Unternehmer hatte zuletzt aus dem saudischen Königshaus zwei Milliarden Dollar Investment-Einlage erhalten.
Weil Musk vorher angekündigt hatte, sich an die Ergebnisse der Umfrage zu halten, wird mit Spannung erwartet, ob und wann der zweitreichste Mensch der Welt seinen CEO-Posten niederlegt und wer nach ihm die Geschicke führt. Es gebe keinen Nachfolger, hatte er zunächst erklärt. Am Montag ließ er wissen, es gehe darum, einen CEO zu finden, der Twitter „am Leben halten kann“.
"Sehr viel kaputt gemacht"
Intern bei Twitter herrscht die Meinung vor, dass der exzentrische Superreiche, der wohl Mehrheitseigentümer bleiben wird, in den vergangenen Wochen „sehr viel kaputt gemacht hat durch seinen eigensinnigen Führungsstil“. Weil Musk enorm viel Zeit für Twitter verwandte, wuchs unter Tesla-Anteilseignern der Frust. Der E-Mobil-Konzern hat seit Jahresbeginn einen Wertverlust seiner Aktie von über 60 Prozent zu verzeichnen. Mächtige Aktionäre forderten Musk auch hier zum Rücktritt auf.
US-Journalisten gesperrt
In einer langen Reihe von erratischen und teils heftig kritisierten Entscheidungen (Musk warf zu Beginn seiner Regentschaft über die Hälfte der 7.500 Köpfe zählenden Belegschaft raus) kam es in der vergangenen Woche zu diversen Eskalationen. Erst sperrte Musk mehrere US-Top-Journalisten unter dem wahrheitswidrigen Vorwand, sie hätten seine Privatsphäre durch die Verbreitung der Standort-Daten seines Flugzeuges beeinträchtigt. Als sich bis hin zu UN-Generalsekretär Antonio Guterres globaler Protest regte, ließ Musk unter Twitter-Nutzern abstimmen. Ergebnis: Die Strafmaßnahme wurde als unverhältnismäßiger Eingriff in die Pressefreiheit angesehen. Musk ließ bis auf wenige Ausnahmen die verbannten Journalisten wieder aufs Portal.
Umstrittenes Konkurrenz-Verbot
Unmittelbar darauf folgte der zweite Streich: Musk erließ ein Verbot, wonach Twitter-Nutzer in ihren Postings keine Konkurrenz-Dienste mehr bewerben dürfen - von Facebook über Instagram und Truth Social bis hin zu Mastodon. Allein der Hinweis, dass jemand seine Anmerkungen zum Weltgeschehen auf mehreren Portalen unters digitale Volk streut, sei ein Grund, das Konto zu sperren. Dieser Schuss ging komplett nach hinten los. Selbst Mitstreiter Musks, wie der Start-up-Unterneher Paul Graham, sprachen von unhaltbarer Zensur. Auch hier trat Musk schnell den Rückzug an. Noch in der Nacht zu Montag kündigte er an, dass solche Änderungen bei den Twitter-Richtlinien künftig erst zur Abstimmung gestellt werden, bevor der Vollzug kommt. „Ich bitte um Entschuldigung“, sagte Musk so kleinlaut wie selten zuvor, „wird nicht wieder vorkommen.“
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