Souveränität, Ernsthaftigkeit und Sattelfestigkeit ausstrahlen. Herausforderer Donald Trump mit Nichtbeachtung marginalisieren. Und bloß nicht alles verraten, was Amerika im Falle eines Wahlsieges ab Januar nächsten Jahres zu erwarten hätte.
Wenn das die Strategie von Kamala Harris bei ihrem ersten frei geführten Medien-Interview nach dem Kandidaturverzicht von Amtsinhaber Joe Biden gewesen sein sollte, dann ist sie am Donnerstagabend nach ersten Medien-Analysen einigermaßen aufgegangen.
In dem knapp 40-minütigen Gespräch mit der erfahrenen CNN-Journalistin Dana Bash im voraussichtlich bei der Wahl am 5. November enorm wichtigen "Swing State" Georgia hat die demokratische Präsidentschaftskandidatin eine unspektakuläre, solide Vorstellung abgeliefert, ohne einen detaillierten Plan für eine Regierungsübernahme vorzulegen.
Es gab keine Sensationen. Aber auch keine Pannen. Die 59-Jährige wirkte, anders als bei vergeigten Presse-Begegnungen zu Beginn ihrer Vize-Präsidentschaft, als fühle sie sich wohl und sicher in ihrer Haut.
Bezeichnend war ihre Reaktion auf die von Trump mit rassistischen Untertönen genährten Zweifel an ihrer afroamerikanischen Identität. Anstatt empört zu kontern, sagte die Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters abgeklärt, das sei „dieselbe alte, abgestandene Masche” (gemeint war: wie bei Barack Obama 2008). "Nächste Frage, bitte."
Harris will Mittelschicht unterstützen
Kam sofort. Auf die erwartete Standardfrage, was sie am ersten Arbeitstag als Präsidentin machen würde, gab Harris etwas vage zurück: „Die Mittelschicht unterstützen”. Die Verbraucherpreise seien immer noch zu hoch. Darum müsse gegen Preiswucher vorgegangen werden. Details? Keine.
Mit der Erhöhung des Kinderfreibetrags auf 6.000 Dollar und Steuer-Gutschriften von 25.000 Dollar für Wohnimmobilien-Käufer versuche sie gegenzusteuern und stabilisierende Anreize zu geben. Warum das nicht schon alles viel früher passiert ist?
Harris sagte, als Biden und sie ins Amt kamen, seien zehn Millionen Arbeitsplätze durch die Corona-Pandemie verloren gegangen. Botschaft: Wir mussten erst viele Feuer löschen. Dabei sei „gute Arbeit” gemacht worden, etwa die Deckelung der Preise von Insulin für Diabetiker auf 35 Dollar, „aber es gibt noch mehr zu tun.”
Ohne Schrammen kam Harris bei dem von den Republikanern hochgezogenen Positionswechsel zum Thema Fracking davon. Vor fünf Jahren noch wollte sie diese aus Sicht von Umweltexperten bedenkliche Methode der Energie-Gewinnung verbieten lassen. Heute sagt sie, wissend, dass ihr eine andere Haltung im Schlüsselbundesstaat Pennsylvania, wo viel gefrackt wird, Stimmen kosten könnte: „Ich werde als Präsidentin Fracking nicht verbieten.” Begründung: Die erzielten Fortschritte bei der grünen Energiewende, die dem bedrohlichen Problem des Klimawandels Rechnung trage, machten ein Verbot unnötig.
Den von Trump mit Macht herbeigeredeten Eindruck, dass Kamala Harris offene Grenzen wolle und weitere Millionen illegaler Einwanderer begrüßen würde, begegnete die frühere Generalstaatsanwältin Kaliforniens so: Wer illegal über die Grenze kommt, auf den warten Konsequenzen. „Wir haben Gesetze, die befolgt und durchgesetzt werden müssen.” Dass Amerika heute nicht schon längst weiter sei bei diesem Ewig-Thema, liege an Trump persönlich. Der habe eine parteiübergreifend konzipierte Reform des Einwanderungs- und Asylrechts aus wahlkampf-taktischen Gründen versenkt. „Sonst hätten wir heute 1.500 Grenzschützer mehr.” Erneut bekräftigte Harris, dass sie als ehemalige Chef-Anklägerin anders als Trump mit der kriminellen Facette (Waffen, Drogen und Menschenhandel) des Geschehens an der Grenze zu Mexiko sehr genau vertraut ist.
Harris ist für Zweistaatenlösung
Im Dauer-Konflikt Israel/Gaza/Hamas bekannte sich Harris unmissverständlich zum Selbstverteidigungsrecht Israels, fügte gleichwohl hinzu: „Es wurden viel zu viele unschuldige Palästinenser getötet. Dieser Krieg muss beendet werden. Und wir müssen eine Vereinbarung treffen, die die Freilassung der Geiseln vorsieht.” Sie ist nach wie vor für eine Zweistaatenlösung für Israel und Palästinenser. Hier wie bei anderen Themen auch ließ Harris nicht erkennen, dass sie grundsätzlich den Pfad der Politik verlassen will, den Joe Biden eingeschlagen hat.
Im Gegenteil. Wissend um die Unbeliebtheit des 81-Jährigen in weiten Teilen der Wählerschaft, bekannte sie sich trotzdem mehrfach ausdrücklich zu ihrem noch amtierenden Chef. Sie attestierte ihm hohe Intelligenz, einen starken Charakter und selbstlose Loyalität dem amerikanischen Volk gegenüber. Die Geschichte werde Biden dereinst als „transformativen” Präsidenten ausweisen, dem in kurzer Zeit große Erfolge bei der Überwindung der Corona-Krise, der modern-industriellen Neuaufstellung des Landes und der Einbindung von Verbündeten (Nato) in die Bewältigung außenpolitischer Krisen gelungen seien.
Harris selbst betonte als Kontrast zu republikanischen Attacken, wonach sie beliebig heute so und morgen so über Politik rede, dass der „wichtigste und bedeutendste Aspekt meiner politischen Perspektive und meiner Entscheidungen ist, dass sich meine Werte nicht geändert haben”.
Anekdotenhaftes durfte natürlich nicht fehlen. So etwa der Moment, als Joe Biden sie am Sonntag, 24. Juli, anrief, um die Beendigung seiner Wiederwahl-Ambitionen zu erklären. Ihre Familie sei bei ihr zu Gast gewesen, samt ihrer kleinen Nichten, erzählte Harris. „Es gab Pfannkuchen. Ein Kind fragte: Tantchen, kann ich mehr Speck haben?”. Als man ein Puzzlespiel beginnen wollte, habe plötzlich das Telefon geklingelt. Harris erste Reaktion auf den historischen Akt: „Bist Du sicher.” Biden habe ihre schnell seine Unterstützung zugesichert.
Harris will einen Republikaner in ihre Regierungsmannschaft holen
Eine kleine Überraschung kam zwischendurch: Kamala Harris will im Fall ihres Sieges die Hand ausstrecken und einen Republikaner in ihre Regierungsmannschaft holen. „Das wäre zum Wohle des amerikanischen Volkes”. P.S. Tim Walz, ihr Vize-Präsidentschaftskandidat, war bei dem Interview dabei, spielte aber kaum eine Rolle.
Erstes Fazit von Analysten im US-Abendfernsehen: Harris habe ihre Spötter, allen voran Trump, Lügen gestraft und ein souveränes Interview abgeliefert, dem jedoch die Details gefehlt hätten. Der Ex-Präsident, der auf seinem Portal “Truth Social” nur das Wort “Langweilig” postete, dürfe sich bei der gemeinsamen ersten TV-Debatte in knapp zwei Wochen auf eine Frau gefasst machen, „die in sich ruht”.
P.P.S - Das Debut-Interview ereignete sich vor günstigem Umfragen-Hintergrund. Laut Reuters/Ipsos hat Kamala Harris ihren landesweiten Vorsprung vor Donald Trump auf 45 zu 41 Prozent ausgebaut.
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