Türkischer Minister droht EU mit Flüchtlingswelle

Süleyman Söylu, Archivbild
Innenminister Söylu wirft Europa "Spiele" vor und droht, Flüchtlinge in Richtung EU zu schicken. Präsident Erdogan fordert europäische Türken auf, mehr Kinder zu zeugen. Die bulgarische Regierung wirft der Türkei indes Wahleinmischung vor und rief ihre Botschafterin aus Ankara zurück.

Im Streit mit Deutschland und den Niederlanden hat der türkische Innenminister Süleyman Söylu gedroht, tausende Flüchtlinge in die EU zu schicken. "Wenn ihr wollt, schicken wir euch die 15.000 Flüchtlinge, die wir jeden Monat zurückhalten", sagte Söylu am Donnerstag laut der Nachrichtenagentur Anadolu. Zuvor hatte Außenminister Cavusoglu gedroht, die Rücknahmevereinbarung mit der EU aufzukündigen.

Ankara und Brüssel hatten vor einem Jahr einen Flüchtlingspakt geschlossen, der vorsieht, dass die Türkei alle Flüchtlinge zurücknimmt, die auf die griechischen Ägäis-Inseln kommen. Im Gegenzug versprach die EU Unterstützung bei der Versorgung der knapp drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei sowie die Aufnahme eines syrischen Flüchtlings für jeden Syrer, der im Rahmen der Vereinbarung in die Türkei zurückgeschickt wird.

Außerdem sagten die EU-Staaten Visafreiheit für die Türkei und die Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen zu. Wegen des massiven Vorgehens der türkischen Regierung gegen ihre Gegner nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli wurden die Beitrittsgespräche aber auf Eis gelegt. Die Gewährung der Visafreiheit macht die EU von der Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze abhängig.

Deutschland soll hinter Putschversuch stecken

Söylu warf Europa vor, "Spiele" gegen die Türkei zu spielen. "Ihr könnt keine Spiele in dieser Region unter Umgehung der Türkei spielen", sagte der Minister, der als Vertrauter von Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt. Er beschuldigte Deutschland und die Niederlande zudem, hinter den Gezi-Protesten im Juni 2013, den Korruptionsermittlungen im Dezember 2013 und dem Umsturzversuch von Juli 2016 zu stecken.

Die Türkei liegt im Streit mit Deutschland und den Niederlanden. Weil in beiden Staaten Wahlkampfauftritte türkischer Minister abgesagt wurden, die vor ihren türkischen Landsleuten in Europa für die umstrittene Einführung des Präsidialsystems bei dem Verfassungsreferendum am 16. April werben wollten, warf Erdogan ihnen "Nazi-Methoden" vor und beschimpfte sie als "Faschisten".

Auch in Österreich wurden türkische Kulturveranstaltungen mit politischem Hintergrund abgesagt. Ein für Samstag geplantes türkisches Konzert in Innsbruck wird nicht wie vorgesehen in der Olympiahalle stattfinden. Die Salzburger Gemeinde Henndorf (Flachgau) kündigte den Mietvertrag zur Nutzung der Wallerseehalle für ein am kommenden Sonntag geplantes Konzert türkischer Musiker auf.

De Maiziere: "Werden nicht betteln"

Die deutsche Bundesregierung zeigte sich am Freitag unbeeindruckt von den türkischen Drohungen. "Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Türkei dieses Abkommen ausgesetzt hat", sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter. Die Vereinbarung sei ein "gemeinsamer Erfolg", deren Umsetzung "im Interesse aller Beteiligten" liege.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere machte indes klar, dass er nicht um das Abkommen betteln werde. Es gebe darüber viele Äußerungen von der türkischen Seite, sagte der CDU-Politiker am Freitag bei einem Treffen mit seinen Unionskollegen aus den Ländern im saarländischen St. Wendel. "Auch da wird versucht, dass wir da in irgendeiner Weise um dieses Abkommen betteln und all das. Das wird nicht geschehen", betonte de Maiziere. Die EU halte sich an das Abkommen und erwarte, dass dies auch die Türkei tun werde.

Erdogan: "Macht mehr Kinder"

Im eskalierenden Streit mit Europa hat sich auch der türkische Präsident Erdogan wieder zu Wort gemeldet. Er forderte die in Europa lebenden Türken auf, ihren Einfluss auszubauen und mehr Kinder zu zeugen. "Macht nicht drei, sondern fünf Kinder", sagte Erdogan am Freitag bei einer Wahlkampfveranstaltung im westtürkischen Eskisehir.

"Von hier aus appelliere ich an meine Bürger und Brüder in Europa: Da wo ihr arbeitet und lebt, ist nun Eure Heimat. Gründet noch mehr Betriebe. Schickt Eure Kinder in bessere Schulen. Lasst Eure Familien in besseren Stadtteilen leben. Steigt in die besten Autos. Wohnt in den schönsten Häusern."

"Referendum ist Wahnsinn"

Der Streit zwischen der Türkei und einigen EU-Staaten hat nun endgültig auch Bulgarien erfasst. Ein Anführer der türkischen Minderheit in Bulgarien hat dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgeworfen, das osmanische "Sultanat" wieder errichten zu wollen. Das Referendum über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems sei "Wahnsinn", erklärte der Vorsitzende der Partei MDL, Ahmed Dogan, am Freitag. Damit wolle Erdogan ein neues osmanisches Reich herstellen.

Dogan äußerte sich besorgt über "Drohungen", "Erpressung" und "Einschüchterung" während der türkischen Kampagne für das Verfassungsreferendum am 16. April in der türkischen Diaspora in Europa. Er wäre nicht überrascht, sollte sich der innertürkische Konflikt auf den Balkan und Europa ausweiten, warnte der Vorsitzende der größten Partei der türkischen Minderheit in Bulgarien.

Bulgarien rief Botschafterin zurück

Die MDL ist mit 15 Prozent der Stimmen bisher drittstärkste Kraft in Bulgarien. Bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 26. März sieht sie sich aber der Konkurrenz durch die neue protürkische Partei Dost ausgesetzt. Bulgarien rief am Donnerstag seine Botschafterin aus der Türkei zu Konsultationen zurück, nachdem es Ankara Einmischung in seine Wahlen vorgeworfen hatte. Das bulgarische Außenministerium nannte keine konkreteren Gründe für die Entscheidung, die eine traditionelle Form des Protests ist.

In Bulgarien leben rund 700.000 ethnische Türken. Zudem gibt es in der Türkei etwa 200.000 türkischsprachige Bulgaren, von denen in der Regel ein Drittel an den Wahlen in Bulgarien teilnimmt. Für die diesjährige Parlamentswahl reduzierte Sofia die Zahl der Wahllokale in der Türkei für die dort lebenden Bulgaren auf 35, was in Ankara auf Kritik stieß.

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