Türkische Reisewarnung für Deutschland? "Schlechter Witz"

 
Offiziell reagiert man in Berlin gelassen auf die jüngste Provokation Ankaras. Die Reisewarnung aus der Türkei wird jetzt jedoch auch Thema im Wahlkampf.

Türkische Staatsbürger sollten generell "vorsichtig" sein, wenn sie nach Deutschland reisen. Vor allem sollten sie sich "nicht auf politische Debatten einlassen", hieß es in einer am Samstag veröffentlichten Reisewarnung des türkischen Außenministeriums.

Die Warnung stellt eine neuerliche Provokation Richtung Berlin dar - schon allein deshalb, weil Reisewarnungen in der Türkei generell unüblich sind. In Berlin reagierte man am Wochenende dennoch demonstrativ gelassen - jedenfalls von offiziell zuständiger Seite. Das Außenministerium wollte die Sache gar nicht erst kommentieren. Kanzleramtschef Chef Peter Altmaier nannte die Reisewarnung auf Twitter kurz und knapp einen "schlechten Witz".

Doch die Ansage aus Ankara platzt mitten in den deutschen Wahlkampf, in dem die SPD mit ihrer Forderung, die Beitrittsgespräche mit der Türkei ganz abzubrechen, den Ton zuletzt noch einmal deutlich verschärft hat. Ein Strategiewechsel, der auch Angela Merkel unter Druck setzt. Entsprechend verschnupft reagierte die Bundeskanzlerin am Sonntag am Rande einer Wahlkampfveranstaltung: "Ich will hier ganz deutlich auch sagen: Zu uns kann jeder türkische Staatsbürger reisen. Bei uns wird kein Journalist verhaftet, kein Journalist in Untersuchungshaft gesteckt. Bei uns herrscht Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit – und darauf sind wir stolz".

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wurde bei einer Wahlkampfveranstaltung in Mainz am Samstag noch schärfer. "Die Regierung in Ankara verliert das Maß. Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland dürfen sich nicht so entwickeln, wie das offensichtlich systematisch in Ankara vorangetrieben wird", sagte Schulz. Wenn es so weitergehe, müsse man im Klartext sagen: "Deutschland ist kein Land, das jede Demütigung aus der Türkei akzeptieren kann."

Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir erklärte: “Erdogans Verhalten ist eines Präsidenten unwürdig. Er will den Spaltpilz nach Deutschland tragen, das dürfen wir nicht zulassen.

Türkische Reisewarnung für Deutschland? "Schlechter Witz"
ABD0028_20170831 - KOMBO - Die Bildkombo zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 29.08.2017 und den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz am 28.08.2017 jeweils während einer Pressekonferenz in Berlin. (zum dpa-Themenpaket "TV-Duell" am 31.08.2017) Foto: Michael Kappeler/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Symbolcharakter

Die Warnung aus der Türkei ist augenscheinlich eine Reaktion auf eine zuletzt erfolgte Verschärfung der Reisehinweise für die Türkei durch das deutsche Außenamt. Darin wird Deutschen zu "erhöhter Vorsicht" in der Türkei geraten. Es solle vermieden werden, sich öffentlich politisch zu äußern. Das vor allem aufgrund der Tatsache, dass sich 55 deutsche Staatsbürger in türkischer Haft befinden – mindestens zwölf davon aus politischen Gründen.

Allerdings hat die Erklärung Ankaras vor allem symbolischen Charakter, während es in Deutschland einen klaren Unterschied zwischen Reisehinweis und Reisewarnung gibt. Eine ausdrückliche Warnung des Auswärtigen Amtes erleichtert beispielsweise die Stornierung von Urlaubsreisen, die in das betroffene Land gebucht wurden. In Deutschland forderten Grüne und Linke am Sonntag eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die Türkei.

Das Außenministerium in Ankara warnt Türken vor "wahrscheinlicher fremdenfeindlicher und rassistischer Behandlung, Verhalten und Verbalangriffen" in Deutschland. Sie sollten sich "nicht auf politische Debatten einlassen". Türken sollten sich von Wahlkampfveranstaltungen politischer Parteien und von Plätzen fernhalten, wo Kundgebungen oder Demonstrationen stattfänden, "die von Terrororganisationen organisiert oder unterstützt und von den deutschen Behörden geduldet werden".

In seiner "Reisewarnung" moniert das türkische Außenministerium zudem, dass türkische Bürger bei der Einreise nach Deutschland von Sicherheits- und Zollbehörden "willkürlich hingehalten, befragt und respektlos behandelt" würden. In Teilen scheint sich die Erklärung Ankaras an den Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes zu orientieren.

"Erhöhte Vorsicht"

Das Auswärtige Amt rät Deutschen darin "zu erhöhter Vorsicht" in der Türkei. "Seit dem Putschversuch im Juli 2016 wurden in der Türkei vermehrt deutsche Staatsangehörige willkürlich inhaftiert", heißt es in dem Reisehinweis. "Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlichkeit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen beziehungsweise Sympathie mit terroristischen Organisationen zu bekunden." Das gelte auch für "regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien".

In der Türkei sind derzeit nach Angaben des Auswärtigen Amtes mindestens zehn Deutsche unter politischen Vorwürfen inhaftiert. Darunter ist etwa der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel, der am Sonntag seinen 44. Geburtstag beging. Gegen Yücel wurde im Februar wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft verhängt, eine Anklage liegt weiterhin nicht vor. Merkel sagte zu Yücel: "Er sitzt nach unserer Meinung völlig unbegründeterweise im Gefängnis."

Das Auswärtige Amt erlässt Reisewarnungen nach eigenen Angaben nur, "wenn in einem bestimmten Land jedem Deutschen eine akute Gefahr für Leib und Leben droht, wie zum Beispiel derzeit in Syrien oder Irak. Eine Reisewarnung ist ein dringender Appell des Auswärtigen Amts, Reisen in ein Land oder in eine Region eines Landes zu unterlassen. Deutsche, die dort leben, werden zur Ausreise aufgefordert."

Auswirkungen auf Tourismus

Eine Reisewarnung für die Türkei hätte schwerwiegende Konsequenzen: Zwar ist die Türkei unter deutschen Touristen nicht mehr so beliebt wie vor der Krise, dennoch stellen Bundesbürger nach den Russen immer noch die größte Urlaubergruppe im Land. Nach Angaben des Tourismusministeriums in Ankara besuchten dieses Jahr bis Ende Juli mehr als 680.000 Deutsche die Türkei, die mit günstigen Preisen vor allem Last-Minute-Urlauber aus der Bundesrepublik anlockt.

Die Reisewarnung hätte aber nicht nur Auswirkungen auf den Tourismus: Deutsche Firmen könnten kaum noch Vertreter in die Türkei entsenden, wenn das Auswärtige Amt davor ausdrücklich warnen würde. Unklar ist auch, ob und wie deutsche Versicherungen Bundesbürger in der Türkei unter diesen Umständen noch versichern würden. Tausende Deutsche, die vorübergehend oder dauerhaft in der Türkei leben, müssten sich entscheiden, ob sie der Aufforderung zur Ausreise Folge leisten.

Das türkische Außenministerium ruft nicht dazu auf, Deutschland zu verlassen - was angesichts von knapp drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln auch unrealistisch wäre. Zwar handelt es sich bei der "Reisewarnung" augenscheinlich um ein politisches Manöver. Dessen ungeachtet beklagen Türken in Deutschland aber tatsächlich eine wachsende Fremden- und Türkeifeindlichkeit. Deutschtürken kritisieren auch, dass sie für die Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mitverantwortlich gemacht würden - und zwar unabhängig von ihrer eigenen politischen Haltung.

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