Armenien-Resolution: Die "Rache" des US-Kongresses an der Türkei
Das US-Repräsentantenhaus stufte am Dienstag die Morde an den Armeniern im Osmanischen Reich während des ersten Weltkriegs als Genozid ein. So weit, so trocken.
Es geht dabei um die Deportation und Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern 1915. Alle bisherigen Versuche, in mehr als 100 Jahren, eine derartige Resolution zu verabschieden, waren gescheitert, meist an der Unterschrift des jeweiligen US-Präsidenten. Vor allem aus einem Grund: um die Beziehungen zu NATO-Partner Türkei nicht zu gefährden.
Doch diese sind – spätestens seit dem Einmarsch der Türken in Nordsyrien und deren Vorgehen gegen die bis dahin von den USA unterstützten Kurden – momentan ohnehin auf einem Tiefpunkt angelangt.
In der aktuellen Resolution heißt es, die USA würden den Völkermord an den Armeniern anerkennen und die Tötung von 1,5 Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich verurteilen. Im republikanisch dominierten Senat ist bisher keine derartige Abstimmung angesetzt.
Die Türkei, die zwar den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern eingesteht, die Einstufung als Völkermord aber zurückweist, reagierte am Mittwoch scharf. Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte die Resolution "die größte Beleidigung unseres Volkes". Das sei ein Schritt, der "allein aus innenpolitischen Erwägungen getroffen" wurde, sagte er.
Auch das türkische Außenministerium sprach von einer "schamlosen Entscheidung", die sich an die "armenische Lobby und Anti-Türkei-Gruppen" richte. Es sei ein beschämender Versuch, die Geschichte für Tagespolitik zu missbrauchen. Der Minister lud am Mittwoch den US-Botschafter David Satterfield in Ankara vor - wegen der Resolution und der damit verbundenen Forderung an Präsident Trump, die Sanktionen gegen die Türkei wegen des Kurses in Syrien erneut zu verschärfen.
Außenminister Mevlut Cavusoglu unterstellte den US-Abgeordneten, der Schritt sei eine Art "Rache" für den türkischen Vorstoß in Syrien. Wer in den USA glaube, auf diese Art "Rache nehmen zu können", täusche sich, twitterte er.
Politisch motiviert
Dass der Schritt der US-Abgeordneten an die aktuellen Entwicklungen gekoppelt ist, kann sich auch Politologe Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik vorstellen. Es sei nicht wahrscheinlich, dass sich die Parlamentarier diesmal wirklich vertiefend mit der Historie auseinandergesetzt haben. Vielmehr könnte es eine Reaktion auf die aktuellen Spannungen sein.
"Eine Mehrheit für eine Einstufung als Genozid gibt es schon lange", sagt Günay und verweist auf die relativ große armenische Diaspora in den USA. "Doch bisher waren die Beziehungen zu dem NATO-Partner wichtiger." Offen sei aktuell, ob der Senat reagiert und ob Donald Trump die Resolution unterzeichnen werde.
Doch der Politologe und Türkei-Experte hält fest, dass derartige parlamentarische Resolutionen oft die umgekehrte Wirkung erzielen. "Diese Diskussion muss in der Türkei gelöst werden." In der Türkei lösten derartige Beschlüsse eher auf Trotzreaktionen und helfen vielmehr den Nationalisten, so Günay.
Doch dem Präsidenten werden solche Entscheidungen aus dem "Westen" immer mehr egal sein, da sich die Türkei immer weniger am Westen orientiert. Die Beziehungen mit den USA allerdings spielen natürlich schon eine wichtige Rolle für Ankara.
Todesmärsche durch die Wüste
Hunderttausende Mitglieder der christlichen Minderheit der Armenier waren während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich systematisch verfolgt und getötet worden. Historiker sprechen von Hunderttausenden bis zu 1,5 Millionen Opfern.
Ab April 1915 wurden laut Aufzeichnungen armenische Eliten verhaftet, verschleppt und getötet. Das Regime sprach davon, sich von "inneren Feinden" befreien zu wollen. Dabei sollen die Maßnahmen gegen die Armenier zentral geplant gewesen sein, so der Politikwissenschaftler Ferhad Seyder von der Universität Erfurt im deutschen Focus. Die Massaker dauerten demnach von 1915 bis Anfang 1917 an.
Dabei sollen vor allem massenhaft Deportationen stattgefunden haben. Die Begründung: Die Armenier hätten sich mit dem Feind verbündet und müssten daher umgesiedelt werden – zum Schutz des Landes. Die Männer seien getötet worden, die Frauen, Kinder und Alten zu einem Marsch in die syrische Wüste geschickt worden, wo die meisten verhungerten oder verdursteten.
Heikles Thema
Nach der Gründung der türkischen Republik wurde der Mantel des Schweigens über das Thema gelegt. Erst in den 1970er Jahren kam das Thema wieder hoch. Bis heute lautet die offizielle Haltung Ankaras, dass es zwar Umsiedlungen gegeben habe, wobei rund 300.000 Menschen gestorben seien sollen. Zentrale Befehle, die Minderheit auszulöschen, habe es aber nie gegeben.
Eine mögliche Erklärung ist die Angst vor der Forderung nach Reparationszahlungen bzw. Gebietsforderungen. Das bestätigt auch Politologe Cengiz Günay. Doch geht es vermutlich auch um den Gründungsmythos der Türkei. Denn so könnten nicht nur heldenhafte Kämpfe gegen innere und äußere Bedrohungen zu der Gründung der Republik geführt haben, sondern auch ein grausamer Völkermord – das soll allerdings nicht in den Geschichtsbüchern stehen.
Anerkennung als Völkermord
Mehr als 20 Staaten erkennen den Völkermord mittlerweile an. Als erstes großes europäisches Land hatte Frankreich 2001 die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich offiziell als Völkermord eingestuft. Der deutsche Bundestag tat dies im Juni 2016, was eine schwere diplomatische Krise mit der Türkei auslöste.
In Österreich haben sich alle Parlamentsklubs 2015 auf eine Erklärung geeinigt, die den Massenmord an Armeniern als Völkermord verurteilt. Offizielle Regierungslinie Österreichs ist das aber dadurch noch nicht. Ein Argument Österreichs, die Gräueltaten nicht als Völkermord anzuerkennen, war lange, dass die Massaker an Armeniern bereits 1915 verübt wurden. Also vor der UNO-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes 1948.
Auch gegenüber Österreich protestierte die Türkei heftig. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern würden "dauerhaft beschädigt", hieß es in einer empörten Stellungnahme des Außenministeriums in Ankara.
Seine Haltung sei "voreingenommen" warf die türkische Regierung dem österreichischen Parlament vor. Es halte damit "anderen einen Vortrag", was in der "heutigen Welt keinen Platz" habe.
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