Traurige Frage: Darf man tote Kinder zeigen?

Fotos eines ertrunkenen Buben am Strand schockieren. Wie umgehen mit solchen Aufnahmen?

Ein verstorbener syrischer Bub am Strand des türkischen Ortes Bodrum sorgt weltweit für Entsetzen. Das Kind war bei der versuchten Überfahrt nach Griechenland ebenso wie sein Bruder und seine Mutter ums Leben gekommen. Sein lebloser Körper am Ufer fand den Weg in die internationalen Agenturen. Ein Bild, das aufrüttelt und beispiellos emotionalisierte.

Die internationalen Medien mussten sich entscheiden: weglassen oder abbilden. Und wenn ja: wie?

Einige Zeitungen, etwa die Süddeutsche, entschieden sich, gar kein Bild der gespenstischen Strandszenerie zu zeigen. "Man muss dieses Foto nicht sehen, um zu verstehen, was sich ändern muss", schreibt der Online-Chefredakteur der renommierten deutschen Zeitung, Stephan Plöchinger. Um gleichzeitig einzugestehen: "Es gibt wohl keine eindeutig richtige, aber viele falsche, vielleicht so viele Antworten, wie es Leser gibt."

Schwarz umrahmt

Den gegenteiligen Weg schlug die Bild ein, die ihre letzte Seite freiräumte, auf der üblicherweise bunte Gesellschaftsberichterstattung stattfindet. Dort prangte auf schwarzem Hintergrund eine Großaufnahme des toten Buben, der mit dem Kopf im Wasser liegt. Darunter findet sich ein Appell zur Lösung der Flüchtlingskrise: "Dieses Foto ist eine Botschaft an die ganze Welt, endlich vereint dafür zu sorgen, dass kein einziges Kind mehr auf der Flucht stirbt."

Auch britische Zeitungen brachten die Aufnahme groß und teils auf dem Cover. Der Tenor: Wenn Großbritannien und Europa sich weiterhin verbarrikadierten, werde es weiter solche grauenhaften Opfer geben. "Mr. Cameron, der Sommer ist vorbei", schrieb die Boulevardzeitung Sun über das Bild des toten Kindes und eines Neugeborenen, das auf einem ungarischen Bahnhof zur Welt gekommen war. Der Premier müsse die "größte Krise seit dem 2. Weltkrieg" anpacken. "Unerträglich, schrieb der Daily Mirror. "Somebody’s Child" ("Jemandes Kind", Anm.), titelte der Independent schlicht und zeigte den toten Buben in drastischer Einstellung – "Glauben wir wirklich, das ist nicht unser Problem?"

Keine Richtlinie für alle

"Es gibt keine allgemeine Richtlinie, die auf alle Medien umzulegen ist", räumt KURIER-Fotochefin Dragana Heiermann ein: "Jedes Medium entscheidet, entsprechend seinen Werten." Der KURIER wählte eine möglichst nachrichtliche Szene aus der Bilderserie aus, in der der Bub von einem Uniformierten weggetragen wird. Eine ausschließliche Abbildung der Leiche hätte den toten Buben ungebührlich ausgestellt, befand man.

In den Adern gefroren

Die Bilder stammen von der Fotografin Nilüfer Demir, die über die Szenerie entsetzt ist: Ihr sei "das Blut in den Adern gefroren", schilderte sie. "Er lag mit seinem roten T-Shirt und seinen blauen Shorts, halb bis zum Bauch hochgerutscht, leblos am Boden." Sie habe nichts für ihn tun können, ebenso wenig wie für den Bruder. "Das Einzige, das ich tun konnte, war, seinem Schrei – dem Schrei seines am Boden liegenden Körpers – Gehör zu verschaffen." Nur der Vater überlebte die Überfahrt.

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KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter und Bildchefin Dragana Heiermann im Interview über Bildauswahl, Ethik und Grenzen der Berichterstattung.

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