Eine Sechsjährige spielt mit ihrem Vater im Garten. Der Basketball rollt beim Spielen auf das angrenzende Grundstück. Der Nachbar soll daraufhin ein ganzes Magazin auf das Mädchen und ihren Vater abgefeuert haben.
Das berichten am Donnerstag Zeugen aus Gaston County aus dem US-Bundesstaat North Carolina. Das Mädchen und ihr Vater werden schwer verletzt. Auch die Mutter wird dabei verletzt.
➤Lesen Sie hier mehr dazu: Weil ein Ball auf seinen Grund rollte: Nachbar schoss auf Sechsjährige und Eltern
Ortswechsel: Missouri. Der 16-jährige Ralph Yarl möchte seine Geschwister abholen, er irrt sich in der Adresse und klingelt an der falschen Türe. Der Bewohner schießt Yarl ins Gesicht und schießt nochmal, nachdem dieser bereits am Boden liegt.
➤Lesen Sie hier mehr dazu: Warum ein schwarzer Musterschüler unschuldig niedergeschossen wurde
New York. Die 20-jährige Kaylin Gillis ist mit Freunden im Auto auf dem Weg zu einer Party. Sie verfahren sich und wollen in einer Grundstückseinfahrt umdrehen. Der Grundstücksbesitzer schießt auf das Auto. Die 20-Jährige wird getroffen und stirbt.
➤Mehr Informationen zu diesem Fall lesen Sie hier: Junge Frau fuhr in USA in falsche Auffahrt und wurde erschossen
Diese Fälle passierten in den USA innerhalb der vergangenen Woche. Alle Schützen dürften im Glauben gehandelt haben, sie hätten ihr Haus geschützt. Sie hätten ein Recht, auf die Menschen zu schießen, sie möglicherweise zu töten, die sich im Haus geirrt haben, sich verfahren haben oder ihren Basketball holen wollten.
Aktuell ist in den USA wieder die altbekannte Debatte über zu lockere Waffengesetze entbrannt. Im Zentrum steht aber dieses Mal das umstrittene Stand-Your-Ground Gesetz. Kurz überbesetzt: Nicht von der Stelle weichen. Im Folgenden erfahren Sie,
- was Stand-Your-Ground in der Realität für Menschen in den USA bedeutet und
- ob, die Schützen in diesen Fällen sogar legal gehandelt haben
Die USA haben ein hausgemachtes Waffenproblem. Laut New York Times sterben in den USA jährlich 49.000 Menschen durch Waffen. Bei Kindern ist Waffengewalt sogar die häufigste Todesursache. Laut dem Gun Violence Archive starben heuer bereits 12.800 Menschen durch Waffen.
Bürgerrecht Waffe
Das Waffengesetz in den USA unterscheidet sich zwar häufig von Bundesstaat zu Bundesstaat, das Recht eine Waffe zu besitzen, ist allerdings sogar ein Bürgerrecht. Es ist durch den zweiten Artikel der Verfassung der Vereinigen-Staaten geregelt. Das Recht auf die Waffe wird von Waffenbefürworter und ihrer mächtigen Lobby NRA (National Rifle Association of America) als Freiheitsrecht und zur Selbstverteidigung argumentiert.
So argumentierten auch einige der eben genannten Schützen. Sie hätten sich nur geschützt. Funktioniert diese Verteidigung?
Nicht von der Stelle weichen
Als Stand-Your-Ground-Laws werden Gesetze in über 30 US-Bundesstaaten bezeichnet, die es Personen erlauben, im Extremfall tödliche Gewalt anzuwenden. Und zwar dann, wenn man sich gegen Angriffe wehren möchte.
Damit wird in diesen Bundesstaaten das US-Recht außer Kraft gesetzt, dass man zuerst defensive Maßnahmen ergreifen muss, bevor man einen Angreifer oder Einbrecher zu töten oder schwer zu verletzen versucht.
Florida hat 2005 als erster Bundesstaat ein solches Gesetz erlassen. Die sogenannte Castle-Doktrin.
Sie besagt: „Eine Person, die nicht in eine ungesetzliche Handlung verwickelt ist und an einem Ort angegriffen wird, an dem sie das Recht hat, sich aufzuhalten, ist nicht verpflichtet zurückzuweichen, sondern berechtigt, standzuhalten und Gegengewalt, einschließlich tödlicher Gewalt einzusetzen, wenn diese Person vernünftigerweise glaubt, diese sei notwendig, um ihr Leben oder das anderer zu schützen oder sich oder andere vor schwerer körperlicher Verletzung zu schützen oder die Begehung eines Gewaltverbrechens zu verhindern“
Bei einer begründeten Annahme einer nötigen Selbstverteidigung, kann man straffrei bleiben. Seither haben einige Bundesstaaten ähnliche Regelungen erlassen.
Straffrei erschossen?
Und was gilt im Falle der teilweise tödlichen Irrtümer? Die "Extremfälle" und "Bedrohungssituationen" sind häufig Fragen der Interpretation und werden von Gerichten entschieden. Der Schütze, der dem 16-jährigen Ralph Yarl in Missouri ins Gesicht schoss, wird wohl nicht straffrei bleiben. Darin sind sich US-Medien mehrheitlich einig.
Der Grund: Missouri hat zwar ein Stand-Your-Ground-Gesetz, das Hausbesitzern erlaubt, sich mit körperlicher Gewalt gegen mutmaßliche Eindringlinge zu verteidigen. Das Gesetz besagt aber, dass eine Person nur dann tödliche Gewalt anwenden darf, wenn sie vernünftigerweise davon ausgeht, dass dies notwendig ist, um sich selbst oder eine andere Person vor dem Tod oder einer schweren Körperverletzung oder einer möglichen Straftat zu schützen.
Von Yarl dürfte keinerlei Bedrohung ausgegangen sein, laut seiner Anwältin werde das Stand-Your-Ground-Law hier nicht greifen. Der Schütze, Andrew Lester (84 Jahre), wurde wegen Körperverletzung ersten Grades angeklagt, was eine lebenslange Haftstrafe nach sich ziehen kann.
Die Staatsanwaltschaft argumentiert zudem, dass hier auch eine rassistische Komponente mitspielte. Der Schütze ist weiß, Yarl schwarz.
Konsequenzen für den Schützen
Auch im Fall der 20-Jährigen, die im Bundesstaat New York erschossenen wurde, wird der Schütze wohl Konsequenzen erfahren. Hier gibt es zwar eine Castle-Doktrin, ähnlich dem Gesetz in Florida, allerdings muss auch hier nachgewiesen werden, dass der Schütze durch die Freundesgruppe im Auto tatsächlich bedroht gewesen sei.
North Carolina, der Bundesstaat, in dem ein Nachbar auf eine Sechsjährige und ihren Vater schoss, hat ebenfalls eine Castle-Doktrin. Auch hier muss der Schütze beweisen, dass die Gewalttat notwendig war, um sich vor große körperliche Gefahr und Tod zu schützen.
Die Sechsjährige und ihr Ball ließen sich wohl kaum als solche Bedrohung wahrnehmen.
Kommentare