Tim Walz: Kamalas Vize wird in Chicago zum absoluten Liebling
Nach Bill Clinton, Stevie Wonder, Oprah Winfrey, John Legend und Dutzenden weiteren Rednern/-innen und Künstlern zu später Stunde sichtlich ermattete Delegierte von den Stühlen zu reißen, ist nicht jedermanns Sache. Es sei denn, man heißt Tim Walz. "Coach" Walz.
Mit einer schlichten "Kabinen-Ansprache" ans amerikanische Volk hat der an der Seite von Kamala Harris als Vize-Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehende Gouverneur von Minnesota den dritten Teil des Demokraten-Parteitags in Chicago beschlossen und dafür lautstarken Beifall erhalten.
"Wir sind in der Offensive und haben den Ball"
Und dabei seine, lange Jahre zwischen Erdkunde-Lehrer, Football-Trainer, National-Gardist und zweifachem Familienvater pendelnde Lebenswelt im kleinstädtischen Mittleren Westen als solide Startrampe für die „größte Ehre meines Lebens” gepriesen: die Chance, gemeinsam mit Kamala Harris im Januar nächsten Jahres ins Weiße Haus einzuziehen.
Walz nahm mehrfach Anleihen aus dem American Football, um die politische Situation gut 75 Tage vor der Wahl zu beschreiben. „Es ist das 4. Quarter….wir liegen ein Field-Goal hinten…aber wir sind in der Offensive und haben den Ball.” Nun müsse es darum gehen, mit geschickten Tacklings den Gegner Zentimeter für Zentimeter zurückzudrängen - und zu gewinnen.
Walz will Fröhlichkeit zurück in den politischen "Kampf" bringen
Der erst vor drei Wochen auf die nationale Bühne katapultierte weißhaarige Mann mit der hohen Stirn nutzte die wenigen Minuten im Scheinwerferlicht, um sich erneut als bodenständiger Normalo zu präsentieren, der sich gemeinsam mit Harris auf die Fahnen geschrieben hat, die „Fröhlichkeit” zurück in den politischen „Kampf” bringen zu wollen.
Erneut nannte er die politische Agenda der republikanischen Herausforderer „weird” (seltsam) und unerbeten. Erneut zeigte er den Stolz auf seine Pädagogen-Laufbahn: „Unterschätzt niemals Lehrer einer öffentlichen Schule.” Erneut bemühte er im Kontrast zur Interventionswut der Republikaner sein gesellschaftspolitisches Mantra: „Kümmert euch um euren eigenen Kram.” Der Mann hat etwas vom rheinischen Leben-und-leben-lassen; aber mit Kümmerer-Note. Wörtlich hört sich so an: „Die Familie am Ende der Straße denkt vielleicht nicht so wie Sie, sie betet vielleicht nicht so wie Sie, sie liebt vielleicht nicht so wie Sie. Aber diese Menschen sind unsere Nachbarn. Also muss man sich um sie kümmern und sie sich um einen.”
Walz der Kompromisse-Schmied
Walz, dessen Vorfahren aus dem badischen Kuppenheim stammen, verkörpert einen Politiker-Typus, der es in den vergangenen 50 Jahren nie aufs oberste US-Parkett geschafft hat: Walz hat nichts Ost- oder Westküstenallürenhaftes an sich. Er spricht die einfache, klare Sprache von „fly over”-Amerika, jene riesigen Landstriche, die überwinden muss, wer von New York nach Los Angeles will.
Jene Regionen, wo sich eine Underdog-Mentalität festgesetzt hat. Gepaart mit dem Gefühl, von denen da in Washington belächelt zu werden. Jenem Washington, wo Walz über zehn Jahre als Kongress-Abgeordneter tätig war und sich den Ruf des uneitlen Kompromisse-Schmieds erworben hat.
In landwirtschaftlich und industriell geprägten Bundesstaaten kann Walz, der ein leidenschaftlicher Jäger und Angler ist, mit seiner unprätentiösen Art Wählerschichten erreichen, die mit der aus San Francisco stammenden Juristin Harris vielleicht nicht auf Anhieb warm werden. Das war ein Kalkül bei seiner Auswahl. Und Walz lieferte bereits prächtig.
Als er unlängst im TV damit konfrontiert wurde, dass seine Schul-Politik als Gouverneur (kostenloses Essen etc.) als linksradikal empfunden werde, konterte der schlagfertige Redner mit einem Schmunzeln: „Was für ein Monster! Kinder haben einen vollen Magen und können was lernen.”
Um zu beglaubigen, dass Walz authentisch ist und nicht am Reißbrett geklont wurde, kamen im „United Center” per Video ehemalige Schüler zu Wort, die an seinen nimmermüden, selbstlosen Einsatz erinnerten. Auch die inzwischen deutlich fülliger gewordenen Spieler jener Highschool-Mannschaft, die Walz vor 25 Jahren zur Meisterschaft führte, durften nicht fehlen, um den gläubigen Lutheraner anfassbar zu machen.
Unterdessen versucht Team Trump, Walz` bereits nach Kräften zu zerstören. Man zweifelt an seiner Militär-Karriere, gräbt einen uralten Fall von Trunkenheit am Steuer aus und versucht mit Haarspaltereien zu punkten, wenn es darum geht, mit genau welcher Methode (In-vitro-Fertilisation oder nicht) Walz und seine Frau Gwen es dereinst geschafft haben, Tochter Hope und Sohn Gus auf die Welt zu bringen. Dazu wird die Bilanz als Gouverneurs ins Visier genommen.
Walz` Beliebtheit steigt
Unter Walz` Führung verankerte Minnesota das Recht auf Abtreibung in der Bundesstaats-Verfassung, legalisierte den Konsum von Marihuana zu privaten Zwecken, verpflichtete Arbeitgeber zur Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und erweiterte Hintergrund-Kontrollen vor dem Kauf von Schusswaffen. Alles Themen, die von Trump und seinem Vize-Kandidaten J.D. Vance als links-progressiv bis marxistisch abgekanzelt werden.
Bislang ohne größeren Erfolg. Mit jeder Umfrage steigt Walz` Beliebtheitskurve. Während Trumps zweiter Mann, der sich mit Bemerkungen über kinderlose Frauen („Katzenladys”) in die Nesseln gesetzt hat, in der Gunst der Amerikaner sinkt.
Am 1. Oktober, das ist Walz` fester Vorsatz, will er Vance bei der einzigen TV-Debatte der Vize-Kandidaten formvollendet argumentativ von den Beinen holen und mit seinem All-American Papa-Charme punkten.
Dem „Touchdown” im Fernsehen wird niemand mehr entgegenfiebern als Gattin Gwen. Auch sie eine Lehrerin und Football-Anhängerin. Als Tim Walz das Team seiner Highschool als „Coach” übernahm, trainierte sie die „Cheerleader”-Mädchen der Mankato West Highschool.
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