Tiefe Klüfte durchziehen Europa

Vor dem Krisentreffen der EU-Granden in Bratislava gibt es kaum gemeinsame Positionen.

Ein "Wow-Effekt" sollte vom EU-Sondergipfel am Freitag in Bratislava ausgehen und das Gemeinschaftsgefühl fördern. Nach Brexit, Millionen Arbeitslosen und Flüchtlingsstreit wollen die EU-Granden eine neue Orientierung suchen. Doch was ihnen fehlt ist der Kompass – oder anders gesagt: der politische Wille.

Selbst der stets ruhige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier wirkt nervös. Er spricht von einer "großen Kluft in den Vorstellungen über die Zukunft der Union". Während einige Regierungen als Antwort auf das Ausscheiden Großbritanniens auf neue Integrationsschritte hoffen (etwa in der Verteidigung), wollen andere Länder "zurück zum Anfang" und eine "Rückabwicklung der EU". Populistische und rechtsextreme Parteien planen Austrittsreferenden, Frankreichs Marine Le Pen will die EU überhaupt "zerstören", wie sie bereits im Europa-Wahlkampf 2014 ankündigt hatte.

Zwischen der Position Vereinigte Staaten von Europa und Zerschlagung der EU gibt es Zwischenstufen.

Mitteleuropa-Block

Enger zusammengerückt sind, gerade in der Flüchtlingskrise, Österreichs Nachbarn. Unter den Visegrád-Ländern Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei ist man sich über wenig so einig, als dass man keine Migranten aufnehmen möchte und den Merkel-Slogan "Wir schaffen das" strikt ablehnt. Österreich fügt sich mit seiner zunehmend restriktiven Asylpolitik, der Forderung nach Stopp der Türkei-Verhandlungen und der CETA- und TTIP-Ablehnung immer enger in diese Gruppe ein. In Prag etwa, wo FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer Montag zu Gast bei Präsident Miloš Zeman war, streckt zumindest das Staatsoberhaupt dem bisher so wenig geliebten Nachbarn die Hand entgegen. An einer engeren Kooperation mit Österreich sei er "sehr interessant", erklärt Zemans außenpolitischer Berater Hynek Kmoníček im tschechischen TV – und erklärt auch gleich die Strategie hinter der von Zeman angedachten "Union in der Union". Wenn man aus den vier Visgrád-Ländern mit Österreichs eine Fünfer-Allianz machen könnte, "dann hätte Mitteleuropa eine Sperrminorität in der EU". Damit könnte man ungeliebte Entscheidungen, etwa in der heiklen Flüchtlingsfrage, blockieren.

Seit jeher gab es ein unterschiedliches Tempo bei der Entwicklung der EU. Immer wieder bekamen Länder Ausnahmen zugestanden. Meister des Opting Outs waren immer die Briten.

Den EU-Kern bildeten immer Frankreich und Deutschland, auch wenn heute der Kern nicht mehr so hart ist.

Ein Fall für sich ist Ungarn mit seinem rechtsnationalen Regierungschef Viktor Orbán. Budapest liebt es zwar, EU-Förderungen zu kassieren und andere Vorteile zu genießen, wenn es aber um Solidarität mit anderen Ländern geht, etwa bei der Flüchtlingsquote, zeigt Ungarn der EU die kalte Schulter.

Beim Treffen der EU (die Briten nehmen nicht mehr teil), wird sich den Staats- und Regierungschefs jedenfalls "eine tief zerklüftete europäische Landschaft zeigen", wie es ein Spitzendiplomat ausdrückt.

Weniger poetisch skizziert den Zustand der EU SPD-Mann Steinmeier. "Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten viel Kraft aufbringen müssen, um aus den unterschiedlichen Positionen einen gemeinsamen europäischen Approach (Ansatz, Anm.) zu festigen."

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