Hollande unbeeindruckt von britischer Absage
Wird US-Präsident Barack Obama nun gezwungen sein, einen Alleingang in Syrien zu riskieren? Der Verbündete Großbritannien hatte am Donnerstag bei einem Parlamentsvotum eine Beteiligung an einem Militärschlag gegen Damaskus abgelehnt. Premier David Cameron erlitt dabei eine politische Niederlage. Mit 285 zu 272 Stimmen lehnte das britische Unterhaus die bereits entschärfte Beschlussvorlage ab. Er werde sich bei der Entscheidung über einen Angriff nicht über den Willen der Abgeordneten hinwegsetzen, sicherte Cameron zu.
Neue Beweise
Die USA streben weiterhin ein internationales Bündnis für eine Reaktion auf die vermuteten Giftgasangriffe an, auch wenn sie die Ergebnisse der UNO-Sonderermittler abwarten.
"Es ist das Ziel von Präsident Obama und unserer Regierung, dass es eine internationale Zusammenarbeit und Anstrengung gibt, was immer auch entschieden wird", sagte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel.
Ablehnend zeigte sich Deutschland: Laut Außenminister Guido Westerwelle werde man sich an einem internationalen Militärschlag nicht beteiligen. "Eine solche Beteiligung ist weder nachgefragt worden noch wird sie von uns in Betracht gezogen", sagte der FDP-Politiker der Neuen Osnabrücker Zeitung. Das Grundgesetz und die Rechtsprechung setzten hier enge Grenzen.
UNO-Experten haben Untersuchung beendet
Die Chemiewaffen-Experten der Vereinten Nationen haben ihre Untersuchungen in Syrien abgeschlossen. Das berichteten Aktivisten und Reporter in der Hauptstadt Damaskus. Ihren Informationen zufolge fuhr das Team am Freitag nicht in die von Rebellen kontrollierten Dörfer im Umland von Damaskus, in denen am 21. August Hunderte von Menschen mit Giftgas getötet worden sein sollen, sondern in ein Militärkrankenhaus im Damaszener Bezirk Al-Messe. Es ist geplant, dass die Experten am Samstag das Land verlassen und ihre Proben anschließend in europäischen Labors analysieren lassen.
Iran verschärft Gangart
Syriens Verbündeter Iran hat indes seine Drohungen gegen Israel am Donnerstag massiv verschärft. Ein Militäreinsatz gegen die Führung in Damaskus würde Israel "an den Rand des Feuers" bringen, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Irna am Donnerstag Irans Armeechef Hassan Firouzabadi. "Ein neuer Militäreinsatz in der Region wird großen Schaden anrichten und dies ist nur im Interesse der Zionisten."
"Ein Angriff auf Syrien würde die unmittelbare Zerstörung Israels bedeuten", schoss auch der Chef der mächtigen Revolutionsgarden, Mohammed Ali Jafari, in einem Interview der Nachrichtenagentur Tasnim scharf gegen eine Intervention. Zugleich drohte er den USA mit verheerenden Folgen für sie selbst. Syrien würde zu einem "gefährlicheren und tödlicheren Schlachtfeld als der Vietnam-Krieg" und "zum zweiten Vietnam für die Vereinigten Staaten".
Militär in Stellung
Auch wenn die Briten nicht in Syrien intervenieren wollen, zuvor hatten sie in der Region noch Stärke demonstriert: Kampfjets waren bereits nach Zypern verlegt worden - als "Vorsichtsmaßnahme". Auch die Türkei positionierte Luftabwehrraketen an der Grenze zu Syrien.
Eine Antwort der Unterstützer des syrischen Machthabers Assad ließ nicht lange auf sich warten: Russland werde in den kommenden Tagen einen U-Boot-Zerstörer und einen Waffenkreuzer ins östliche Mittelmeer beordern, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter der Streitkräfte am Donnerstag.
Presseschau: Cameron "erniedrigt"
Der oft zu Recht als ewiger Zauderer bezeichnete US-Präsident Barack Obama scheint nun doch bereit für einen Militärschlag gegen das syrische Regime – notfalls im Alleingang. Denn in der Nacht zum Freitag ist ihm der langjährige Kampfgenosse Großbritannien überraschend weggebrochen. Die Abgeordneten im Londoner Unterhaus verweigerten Premier Cameron die Gefolgschaft, die Royal Airforce bleibt am Boden.
Es handelt sich wohl um eine späte Einsicht. Denn vor mehr als zehn Jahren war der damalige Briten-Premier Tony Blair mit US-Präsident George Bush in blindem Vertrauen in den Irakkrieg gezogen. Die angeblichen Massenvernichtungswaffen stellten sich in der Wüste des Zweistromlandes als Fata Morgana heraus. Blair ging als „Bushs Pudel“ in die Geschichte ein.
Die Obama-Administration hat gestern führenden Kongress-Abgeordneten Beweise präsentiert, die belegen sollen, dass das syrische Regime unter Machthaber Assad für den Giftgas-Angriff der Vorwoche mit Hunderten Toten verantwortlich sei. Alles, was man bisher weiß, gab es aber keinen Befehl von ganz oben, die Suppe ist also dünn. Doch der US-Präsident hat sich so weit aus dem Fenster gelehnt, dass ein Rückzug ohne Gesichtsverlust nahezu unmöglich ist.
Die vielleicht letzte Chance, dass die amerikanischen Tomahawk-Raketen doch in ihren Silos bleiben, ist der G20-Gipfel kommende Woche. Da müsste sich der russische Präsident Putin in seiner bisher so kompromisslosen Pro-Assad-Haltung bewegen. Anzeichen dafür gibt es leider keine.
Barack Obama soll nur mehr wenige Zweifel daran haben, dass Syriens Regime Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Die Vorbereitungen für einen Militärschlag unter Führung der USA laufen. Allerdings soll dieser kurz sein – ein langfristiger Einsatz wird tunlichst vermieden. Ein Angriff wäre demnach vor allem ein symbolischer Akt gegen den Einsatz chemischer Waffen.
Weder soll Bashar al-Assad gestürzt noch die Rebellen von der Intervention gestärkt werden. Die Aufständischen sind von der Terrororganisation El-Kaida unterlaufen, sind dem Westen daher ähnlich unheimlich wie Machthaber Assad selbst.
Die Freunde des Regimes – Russland, China und der Iran – hingegen fürchten um ihren Einfluss in der Region. Sie drohen bei einer militärischen Intervention mit Konsequenzen. Vor allem Israels Bevölkerung fürchtet Vergeltungsmaßnahmen.
Die Akteure im Überblick:
Österreich nimmt 500 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien auf. Das kündigte Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) am Donnerstag an. VP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner erklärte, die Aufnahme solle innerhalb "einiger weniger Wochen" erfolgen. Sie habe den Auftrag von Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) an ihr Ressort weitergeleitet. Dieses treffe sich am morgigen Freitag zu einer ersten Sitzung und werde in Folge Kontakt zu einer intentionalen humanitären Organisation aufnehmen.
"Wir werden im Rahmen einer humanitären Aktion 500 Flüchtlinge aufnehmen", so Mikl-Leitner. Schwerpunktmäßig werde es sich um Kinder, Frauen und Christen handeln, da dies besonders gefährdete Gruppen seien. Die Hilfe soll in den nächsten Wochen erfolgen. Mit welcher Organisation zusammengearbeitet werde, steht noch nicht fest.
Das nun doch Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen werden, obwohl sie dies im Juni noch abgelehnt hatte, erklärte Mikl-Leitner damit, dass sich die Situation in dem Land Tag für Tag mehr zuspitze. "Wir gehen mit gutem Beispiel voran", und dies erwarte sie sich auch von den anderen europäischen Staaten. In den nächsten Tagen werde die Hilfe organisiert und vorbereitet. Wo die Betroffenen untergebracht werden sollen, stehe noch nicht fest. Druck aus Brüssel habe es auf jeden Fall "überhaupt nicht" gegeben: "Österreich kommt seiner Verantwortung nach", die Situation in Syrien sei äußerst kritisch, erklärte die Innenministerin.
Als „klare Verletzung internationalen Rechts“ hat Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Telefonat mit Irans Präsidenten Hassan Rohani die Angriffspläne der USA bezeichnet. Ein Militärschlag müsse verhindert, der Bericht der UN-Inspektoren über einen Giftgaseinsatz in Syrien abgewartet werden.
Putin hofft offenbar, Barack Obama in letzter Minute noch umstimmen zu können. Der US-Präsident hatte sich laut russischen Medien bereit erklärt, am Rande des G-20-Gipfels kommende Woche in St. Petersburg doch mit dem Gastgeber zu einem Vier-Augen-Gespräch zusammenzutreffen, das wegen der Snowden-Causa schon gecancelt worden war. Vorher, so nehmen Experten in Russland an, werde der Westen in Syrien nicht eingreifen. Laut Nachrichtenagentur Interfax will Russland in den kommenden Tagen zwei Kriegsschiffe ins Mittelmeer verlegen.
Die Folgen eines westlichen Militärschlages wären aus Putins Sicht katastrophal. Vor allem dann, wenn der Schlag Assad nicht zur Kapitulation zwingt. Eine Bodenoperation sei dann unvermeidlich. Diese würde Teheran, das sich derzeit auf wirtschaftliche und politische Unterstützung für Damaskus beschränkt, zum militärischen Eingreifen in den Konflikt zwingen. Eine direkte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den USA und der Islamischen Republik wäre dann unvermeidlich und könnte einen regionalen Flächenbrand auslösen, der nicht nur den Nahen, sondern auch den Mittleren Osten nachhaltig destabilisieren würde. Eine Region, zu der auch die mit Russland verbündeten Ex-Sowjetrepubliken in Zentralasien zählen.
Zu einer politischen Lösung in Syrien gebe es keine Alternative, warnte Außenamtschef Sergej Lawrow in einem Telefonat mit dem Syrien-Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs, Lakhdar Brahimi. Darin schwang auch Moskaus Sorge mit, militärische Interventionen ohne Mandat der Weltorganisation könnten zur Regel werden. Aus russischer Sicht würde dies sowohl die von Moskau und Washington in Jahrzehnten mühsam ausgehandelte globale Sicherheitsarchitektur als auch das Völkerrecht zu Makulatur machen.
Bisher hat sich Russland im Sicherheitsrat allerdings auch gegen alle Sanktionen gegen Syrien quergelegt. Gestern telefonierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit Putin und warb für Verhandlungen im Sicherheitsrat „für eine schnelle, einmütige internationale Reaktion“ auf den Giftgasangriff in Syrien – und für eine politische Lösung.
Handeln Mitglieder der internationalen Gemeinschaft auf eigene Prokura wie 2003 im Irak und 2011 in Libyen, reduziert sich der ohnehin begrenzte Einfluss der UNO auf das Weltgeschehen weiter. Entwicklungen, die Russland unbedingt verhindern will. UNO und Sicherheitsrat, wo Russland als Ständiges Mitglied Veto-Recht hat, sind für Moskau die wichtigsten Instrumente für den Wiederaufstieg zur Supermacht, wie es die Sowjetunion war. Ohne sie ging in der Ära des Kalten Krieges nichts in der internationalen Politik.
Auch könnte die politische Niederlage Russland in der Syrien-Krise Putin innenpolitisch schwächen. Bei mangelndem Durchsetzungsvermögen von Autokraten auf der Weltbühne verloren deren Gegner schon des Öfteren ihre Beißhemmungen.
Eigene wirtschaftliche und militärische Interessen, wie sie gern bemüht werden, um Moskaus harte Haltung in der Syrien-Krise zu erklären, tendieren gegen null. Auch die Sympathien für Diktator Bashar al-Assad. Kreml und Außenamt fürchten vielmehr, dessen Sturz könnte radikale Islamisten an die Macht spülen und das dem religiös motivierten Widerstand im russischen Nordkaukasus neuen Auftrieb geben. Ableger und Verbündete von El Kaida wollen dort einen Gottesstaat errichten, der vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer reicht.
Der libanesisch-syrische Grenzübergang Masnaa: Schon mehr als eine halbe Million Syrer haben dieses Nadelöhr passiert und sich im Nachbarland in Sicherheit gebracht. In den vergangenen Tagen stieß eine neue soziale Gruppe zu diesem „Treck der Elenden“. Auffällig viele gut gekleidete Männer und Frauen, Letztere in eleganten High Heels, flüchteten in den Zedernstaat. Es ist die (wirtschaftliche) Elite Syriens, die jetzt angesichts der drohenden Militärschläge das Weite sucht.
„Es war Zeit zu gehen“, sagte der Businessman Salah Abur Rahman dem britischen Guardian, „denn was immer nun auch kommen mag, es wird eine Riesenzerstörung geben, so oder so.“ Und der Mann hat offenbar Insider-Informationen: „Mein Onkel ist ein hoher Offizier und Entscheidungsträger. Aber die einzige Entscheidung, die er diese Woche trifft, ist, wo sie Schutz finden vor den amerikanischen Angriffen.“
Auch die in Damaskus verbliebene Zivilbevölkerung richtet sich auf das offenbar bevorstehende Bombardement ein. Die Menschen verbarrikadieren die Fenster ihrer Wohnungen und Häuser, decken sich mit Lebensmitteln ein, legen Wasservorräte an und kaufen Batterien für Taschenlampen beziehungsweise Kerzen.
Gerüchte um Assad
Indes zitiert eine israelische Zeitung ein libanesisches Blatt: Angeblich hält sich Syriens Machthaber Bashar al-Assad, 47, samt Familie in Teheran auf. Dort bespreche er mit der iranischen Führung mögliche Reaktionen auf einen Angriff des Westens. Eine Bestätigung für dieses Gerücht gibt es aber nicht.
Valider hingegen scheint ein Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zu sein. In diesem wird unter Berufung auf nicht genannte UN-Quellen der jüngere Bruder Assads beschuldigt, den Befehl zu dem Giftgas-Angriff erteilt zu haben. Maher al-Assad, 45, der 2011 auch schon einmal auf Demonstranten das Feuer eröffnen ließ, gilt als äußerst brutal. Und impulsiv: 1999 schoss er bei einem Familienstreit seinem Schwager in den Bauch und sich selbst damit aus dem Rennen um den Präsidentenposten nach dem Tod seines Vaters Hafez al-Assad im Jahr 2000. Maher al-Assad kommandiert die Elitesoldaten der Republikanischen Garde, die 20.000 bis 25.000 Mann umfassen soll und für Damaskus zuständig ist.
Die Gesamtzahl der syrischen Soldaten liegt laut Schätzungen bei 180.000 Mann. Dazu kommen rund 100.000 paramilitärische Kräfte (Stand 2009). Gefahr droht den westlichen Bombern weniger von den 365 syrischen Kampfjets, denn von diesen dürfte ein Großteil gar nicht einsatzbereit sein, sondern viel mehr von den Tausenden Boden-Luft-Raketen aus russischer Produktion.
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