Syrien: Keine Waffenlieferung bis August

epa03720607 Israeli soldiers are seen moving on a military training ground in the center of Golan Heights, during an Israeli military exercise near the Israeli-Syrian border, 27 May 2013. EPA/ABIR SULTAN
EU-Außenminister finden doch Last-Minute-Kompromiss. Waffenembargo läuft formal aus.

Fast elf Stunden lang wurde in Brüssel intensiv verhandelt, dann schien Montag Abend klar: Österreich und Großbritannien, flankiert von Frankreich, können sich an diesem Abend nicht einigen, ob, wie und wann EU-Mitglieder den syrischen Rebellen Waffen liefern dürfen. Während seine Amtskollegen zum Abendessen gingen, erklärte Außenminister Michael Spindelegger die Verhandlungen für gescheitert.

Das komplette Sanktionen-Paket gegen Syrien, nicht nur das Waffen-Embargo, werde mit 1. Juni auslaufen, so Spindelegger. Er gehe davon aus, dass Frankreich und Großbritannien bald Waffen an die syrische Opposition liefern würden. Für Österreich würde das wohl einen Abzug der 380 UNO-Soldaten vom Golan bedeuten. „Die Fortsetzung dieser Mission wird sehr schwierig“, sagte er. „Ich will nicht, dass österreichische Soldaten zur Zielscheibe werden.“

Kompromisssuche

Diplomaten aus anderen EU-Staaten versicherten hingegen wenig später, dass die Gespräche nach dem Essen fortgesetzt würden. Spindelegger setzte wenig Hoffnungen darauf: „Alles ist möglich, aber ich glaube nicht, dass plötzlich die Erleuchtung vom Himmel fällt.“

Politische Beobachter sprachen schon von einer „Bankrotterklärung“ der europäischen Außenpolitik. Doch kurz vor Mitternacht hieß es dann in Ratskreisen, man habe doch noch einen Kompromiss gefunden. Das Waffenembargo laufe zwar mit Ende Mai aus, aber die EU wolle sicherstellen, dass die EU-Staaten zwei Monate lang keine Waffen nach Syrien liefern – also zumindest für die Dauer der geplanten Genfer Friedenskonferenz.

Ob dann ab 1. August wieder ein Embargo eingeführt wird, darüber soll dann entschieden werden – je nach Fortschritt der Genfer Konferenz. Alle anderen Sanktionen wie Visa-Bestimmungen oder eingefrorene Konten gegen das Assad-Regime in Syrien werden von der EU jetzt fortgeführt.

Veto-Keule

Die Briten konnten damit gemeinsam mit den Franzosen erreichen, dass es zumindest ab 1. August ohne ihre Zustimmung kein Waffenembargo mehr gibt. Denn es gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Damit haben Frankreich und Großbritannien die Veto-Keule in der Hand – wogegen sich Österreich lange vehement gewehrt hat. Spindelegger wenig Stunden vorher: „Ein Kompromiss kann nicht heißen, dass zwei Staaten etwas wollen und 25 hinterherspringen.“

Großbritannien hat sich seit langem für eine Aufhebung des Waffen-Embargos stark gemacht, um die Opposition in Syrien beliefern zu können. Unterstützung für die harte Linie kam am Schluss nur noch von Frankreich. Zuvor waren auch Italien und Zypern auf dieser Linie.

Auf der anderen Seite hat Österreich eine Gruppe von Staaten angeführt, die strikt gegen Waffenlieferungen ist; dazu zählen Schweden, Tschechien und Rumänien. Ihre Position: Die Sanktionen inklusive Waffen-Embargo sollen verlängert werden. „Für uns war wichtig, dass es keine Kehrtwende um 180 Grad gibt“, betonte Spindelegger. „Die EU hat sich in der Vergangenheit in solchen Konflikten dieser Art auch nicht auf eine Seite gestellt.“

Kritik

Russland hat die Aufhebung des Waffenembargos verurteilt. Dies schade "direkt" den Bemühungen um eine Befriedung des Konflikts in dem Land, sagte der russische Vize-Außenminister Sergej Riabkow. Für die syrische Opposition kam die Entscheidung hingegen zu langsam. "Es ist definitiv ein positiver Schritt, aber wir fürchten, dass er zu klein ist und zu spät kommt", sagte der Sprecher der oppositionellen syrischen Nationalen Koalition, Luay Safi.

Nach dem Kompromiss hält Spindelegger den Abzug der österreichischen UNO-Soldaten nun noch nicht für notwendig. Die Situation bleibe aber gefährlich. Auch Kanzler Faymann zeigte sich am Dienstag "besorgt und beunruhigt".

Diplomatische Theorie und syrische Praxis – zumindest in einem Punkt sind das zwei ganz verschiedene Dinge: in Sachen Öl etwa. Vergangenen April hatten die EU-Außenminister beschlossen, seit 2011 geltende Sanktionen gegen Öl- und Gas-Produkte aus Syrien aufzuweichen. Es ist ein Punkt unter vielen in jenem Sanktionenpaket, das Ende Mai ausläuft und um dessen Modifizierung jetzt gerungen wird. Die Aufweichung, so heißt es, solle der syrischen Bevölkerung und der Opposition zu Gute kommen. Gebracht hat sie allerdings einen Wettlauf um Ölfelder und Pipelines sowie die Festigung der Oberhoheit, die islamistische Gruppen über diese bereits zuvor hatten.

Ein Großteil der Quellen wird von der Al-Nusra-Front, die mit der El Kaida alliiert ist, kontrolliert. Und das nicht, weil ihr diese Gebiete zufällig in die Hände fielen. Das Rennen um die Ölfelder ist auch ein Kampf – und einer, in dem auch unterschiedliche Gruppen innerhalb der Opposition bereits aneinander geraten.

Al Nusra kontrolliert einen Großteil der Felder in der Region Deir ez-Zor. Die Kontrolle über Quellen weiter nördlich setzte sie gegen kurdische Gruppen durch. Es handelt sich um wilde Raffinerien, wo unter freiem Himmel Rohöl verkocht und Diesel oder Benzin in Gartenschläuchen kondensiert wird. Das alles in mittlerweile industriellem Ausmaß, das es der Al-Nusra-Front erlaubt, ihre Marketingmaschine am Laufen zu halten und in den von ihr kontrollierten Gebieten etwa Bäckereien aufzubauen. So abstrus das klingen mag: Beim Verkauf der Öl-Produkte kooperiert die Al-Nusra-Front mit Stellen der syrischen Regierung. Etwa wenn es um den Transport über die Frontlinie geht. Zugleich kooperiert die syrische Regierung mit und zahlt an Al Nusra, wenn es darum geht, den Fluss an Rohöl durch Pipelines in die Küstenhäfen Baniyas und Latakia aufrecht zu erhalten.

Faktisch sind die vergangenen April beschlossenen EU-Erleichterungen noch nicht tatsächlich in Kraft, weil es an Reglementierungen fehlt. Näher definiert ist zudem, dass die Gremien der Opposition die Kontrolle über die Öl-Exporte haben müssen. Haben sie aber nicht. Fakt ist aber auch, was der Analyst Joshua Landis gegenüber dem Guardian derart zum Ausdruck brachte: Wer auch immer Syriens Öl, Wasser und Landwirtschaft kontrolliere, habe Syrien an der Gurgel. Derzeit sei das Al Nusra.

Die Europäische Union hat seit Mai 2011 eine Reihe von Sanktionen gegen das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad verhängt. Dazu gehört auch ein Verbot von Waffenlieferungen nach Syrien. Von diesem Verbot ist nicht nur die Regierung betroffen ist, sondern auch die Opposition gegen Assad. Deswegen wollen einige EU-Regierungen jetzt Waffenlieferungen an die Aufständischen erlauben. Alle EU-Maßnahmen gegen Syrien sind miteinander verbunden. Wichtige Sanktionen sind beispielsweise Einreiseverbote, Verbote von Banktransaktionen und ein Einfuhrverbot für Öl. Die Sanktionen laufen Ende Mai aus und können nur einstimmig verlängert werden. Die EU-Regierungen sind daher auch zu einer Einigung in der Frage der Waffenlieferungen gezwungen, wenn nicht sämtliche Sanktionen gegen Syrien enden sollen.

Die EU-Regierungen haben in den vergangenen Wochen bereits die Lieferung von nicht-tödlichem Militärmaterial - beispielsweise Helme oder Schutzwesten - an die Rebellen erlaubt. Sie hat auch Einfuhren von Öl und Investitionen in die Ölförderung erlaubt, sofern dies zur wirtschaftlichen Unterstützung der Aufständischen dient. Diese Lockerungen gehen aber einigen Staaten, vor allem Großbritannien, nicht weit genug.

Syrien: Keine Waffenlieferung bis August

Im bisher mehr als zwei Jahre andauernden syrischen Bürgerkrieg sind bereits mehr als 1,5 Mio. syrische Flüchtlinge in die Nachbarländer geflohen. Vor allem Frauen und Kinder sind betroffen. Das Europaparlament hat ein umfassendes Hilfspaket zur Linderung der humanitären Krise in Syrien und seinen Nachbarländern gefordert. Im Libanon, in der Türkei und in Jordanien sollten die Flüchtlingslager erweitert werden, hieß es in einer Entschließung, die das Parlament am Donnerstag in Straßburg verabschiedete.

Spendeninformationen finden Sie etwa auf der Website "Nachbar in Not - Flüchtlingshilfe Syrien".

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