Starker Mann für Tunesien: „Viele hoffen auf frischen Wind“
Tritt Tunesien in eine „neue Phase“ ein, eine Phase echter Reformen zum Wohl der Bevölkerung, wie Präsident Kais Saied sagt – oder wird das Vorzeigeland des Arabischen Frühlings wieder zur Diktatur?
Die Unterstützer des autoritären Staatschefs, die sich am Montagabend im Zentrum von Tunis versammelt haben, kümmert diese Frage wenig.
Fahnenschwenkend begrüßen sie das vorläufige Ergebnis des soeben beendeten Verfassungsreferendums: 92,3 Prozent der Wähler stimmten für Saieds Entwurf eines neuen Grundgesetzes. Den Schönheitsfehler des Ergebnisses wollen die Menschen nicht sehen – nur 27,5 Prozent der Wahlberechtigten schritten zur Urne.
Die neue Verfassung, die nach Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses in Kraft treten sollte, überlässt Saied nahezu alle Macht im Staat; er kontrolliert künftig Regierung, Armee und Justiz.
Bereits vor einem Jahr hatte der 64-Jährige nach regierungskritischen Protesten das Parlament und die Regierung aufgelöst und herrschte seither per Dekret. Dass seine Allmacht nun in der Verfassung festgeschrieben ist, öffnet laut Saieds Kritikern und auch internationalen Beobachtern Machtmissbrauch Tür und Tor. Befürchtet wird der Verlust demokratischer Errungenschaften der vergangenen elf Jahre und eine Aushöhlung der Frauen- und Menschenrechte.
Saied will seine Befugnisse für den Aufbau einer „neuen Republik“ nutzen. Er werde die politische Stagnation ebenso beenden wie die Korruption und die Wirtschaftskrise, die das Land seit Jahren im Griff hat und die mit hoher Arbeitslosigkeit, steigenden Preisen, hohen Staatsschulden und Abwanderung einhergeht.
Wie er das bewerkstelligen will, hat der der frühere Uni-Professor für Verfassungsrecht noch nicht mitgeteilt.
„Ohne Klotz am Bein“
Die Befürworter von Saieds Griff nach der Macht ficht das nicht an. Sie glauben, dass Tunesien einen starken Anführer brauche, der mit korrupten Amtsträgern und Parteien aufräumt und Entscheidungen ohne das Parlament treffen kann, in dem mitunter tatsächlich mehr gekämpft als diskutiert wurde.
„Viele Tunesier hoffen auf frischen Wind durch eine Person, die die Verfassung gut kennt und die Macht hat, Reformen ohne Klotz am Bein durchzuführen“, sagt die tunesische Journalistin Ines Mohdhi Oueslati zum KURIER. Das Parlament habe Saied nur Steine in den Weg gelegt. Die Radiomoderatorin begrüßt den Ausgang des Referendums, auch wenn sie das neue Grundgesetz nicht „allzu gut“ findet.
Unter den Tunesiern, die diesem am Montag zugestimmt haben, gibt es viele, die diese Meinung teilen. Und viele, die den Text gar nicht kennen oder seine Tragweite nicht sehen.
Chance für Opposition
Die Opposition hatte Saids Machtstreben bisher kaum etwas entgegenzusetzen. Sie ist zersplittert und schafft es nicht mehr, Massen zu mobilisieren. Die niedrige Wahlbeteiligung, die Saieds Legitimation schwäche, könnte der Opposition Aufwind verleihen, sagen Experten. Wenn sie an einem Strang ziehe.
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