SPD-Casting: Es weht ein frischer Wind - auch ohne Böhmermann

Ralf Stegner
Halbzeit beim bundesweiten SPD-Casting: Derzeit ist völlig offen, wer die krisengeschüttelte Partei in die Zukunft führt.

In bundesweiten Umfragen abgestürzt, bei den Landtagswahlen in Sachsen untergegangen, in Bälde wieder auferstanden? Abwarten, bis Jahresende sollte jedenfalls feststehen, wer neuer Vorsitzender der SPD wird. Fest steht: Jan Böhmermann, der sich kurzfristig beworben hatte, wird es nicht - mangels Unterstützern. Weiten Teilen der SPD war es offensichtlich wichtiger, das Gesicht der Partei zu wahren, als sie einem Beppe Grillo im Slim-Flit mit linksextremer Pseudo-Programmatik zu überlassen.

Wer bleibt nun übrig, um die SPD zu retten? Ein Duo aus Mann und Frau soll es ja sein. Die Hälfte der rund 23 Regionalkonferenzen ist abgehalten. Als Favorit gilt Olaf Scholz, Deutschlands Finanzminister, unterstützt von seiner Teampartnerin Klara Geywitz.

SPD-Casting: Es weht ein frischer Wind - auch ohne Böhmermann

Klara Geywitz und Olaf Scholz

Noch bis 12. Oktober touren die Kandidatenduos - sieben sind es noch - durch Deutschland. Im Willy-Brandt-Haus gibt man sich euphorisch über die Wirkung der Castingtour. Seit ihrem Beginn habe es 3.500 neue Eintritte in die Partei gegeben, die Veranstaltungen seien immerzu voll gewesen.

SPD aus "neoliberaler Pampa" holen

Weht nach dem Rücktritt von Ex-Parteichefin Andrea Nahles gar ein frischer Wind in der SPD? Es gibt jedenfalls kaum ein Kandidatenteam, das nicht immer wieder betont, wie wichtig Solidarität untereinander sei. Passend zu diesen Befindlichkeiten stehen ursozialdemokratische Themen wie faire Löhne, ein gerechtes Steuersystem oder bezahlbare Wohnungen im Vordergrund. Bemerkenswert: Der Klimaschutz, in Zeiten von Fridays for Future in aller Munde, spielt keine zentrale Rolle.

SPD-Casting: Es weht ein frischer Wind - auch ohne Böhmermann

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken

Überraschend ist, dass der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans mit seiner Teampartnerin Saskia Esken zu den schärfsten Konkurrenten von Scholz und seiner Mitstreiterin Geywitz avancieren. Walter-Borjans, durch dessen Ankauf von Steuer-CDs mehr als sieben Milliarden Euro Nachzahlungen an den Staat flossen, streichelt die Seele der Partei. Lobbyisten und Berater hätten die SPD dazu gebracht, "in die neoliberale Pampa abzubiegen", sagt er unter Applaus. Den Juso-Vorstand hat das Duo bereits auf ihrer Seite.

Auffällig ist auch, wie sehr sich Scholz zurückhält. Oft lässt er Geywitz den Vortritt, wenn beide als Team gefragt werden. Und die Brandenburgerin ist es, die mit am schärfsten frühere Hinterzimmerpolitik der SPD kritisiert. "Ich will nie wieder aus der Zeitung erfahren, wer unser nächster Kanzlerkandidat ist", wettert sie im Willy-Brandt-Haus, "die Zeit der Hinterzimmermänner muss vorbei sein."

Stegner als selbstironischer Spaßmacher

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping konnten bei den Regionalkonferenzen teils weniger punkten konnten, als es ihre Rolle als Mitfavoriten erwarten ließ. In Berlin setzt Pistorius auf einen dramatische Appell für ein entschlosseneres Vorgehen gegen die AfD und erinnert an das Ende der Weimarer Republik: "Die Zeit des Zauderns und Zögerns ist vorbei."

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Ralf Stegner und Gesine Schwan

Und: Nicht jeder hätte erwartet, dass Parteivize Ralf Stegner - berüchtigt für seine Mundwinkel - und seine Mitstreiterin Gesine Schwan viel Sympathien erwerben. Doch Stegners im Stakkato vorgetragene sozialpolitische Forderungen, der Aufruf zu neuem Selbstbewusstsein, die Selbstironie beider Kandidaten, entfachen Hoffnung bei den Sozialdemokraten. "Ich gestehe, dass ich seine kabarettistische Seite vorher nicht gekannt habe", meint Partnerin Schwan.

Entscheidung bis Dezember

Polarisierend wirken die NRW-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann und der Europa-Staatsminister Michael Roth - die sich als jung, frisch, dynamisch präsentieren, Verkrustungen in der Partei aufbrechen wollen. Sie kommen bei vielen gut an, aber scheinen manchem nicht präzise genug, wie Nachfragen zeigen.

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Karl Lauterbach und Nina Scheer

Am stärksten auf inhaltliche Markenzeichen konzentrieren sich die zwei weiteren Duos: Die Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach und Nina Scheer wollen schnell aus der Koalition mit der Union aussteigen - und setzen einen Schwerpunkt auf Klimaschutz. Und die Parteilinke Hilde Mattheis und der Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel kämpfen für eine Abkehr von Hartz IV.

425.630 SPD-Mitglieder können nach dem Casting vom 14. bis zum 25. Oktober ihre Stimme abgeben. Das Ergebnis soll am 26. Oktober vorliegen. Erwartet wird eine Stichwahl der beiden bestplatzierten Duos, wenn kein Bewerber mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält. Die neuen SPD-Chefs müssen dann auf einem Parteitag im Dezember bestätigt werden.

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