Ein Kuss mit Folgen
Draußen vor der Mehrzweckhalle steht die Polizei, Proteste werden erwartet. Aber bei dem Gang von dem gekühlten Stadion auf den heißen Asphalt wird klar: Der Rest der Gesellschaft hat noch nicht verstanden, was gerade passiert war. Da ging es nicht um den aufgedrückten Kuss, sondern vielmehr um die Folgen für den spanischen Sport und die gesamte Gesellschaft.
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Das Machoverhalten eines Vorgesetzten war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die spanischen Fußballerinnen waren seit vielen Monaten unzufrieden mit ihrer schlechten Bezahlung und der ungerechten Behandlung im Vergleich zu den Männern. Einige hatten sich deswegen auch mit dem Trainer Jorge Vilda überworfen, waren zur WM erst gar nicht angetreten.
Machtstrukturen und Korruption
Gegen Rubiales laufen mehrere Anzeigen und Gerichtsverfahren. Jetzt stehen der gesamte spanische Fußball und seine umstrittenen Machtstrukturen im Rampenlicht und nicht der umjubelte WM-Sieg eines anfangs unterschätzten Teams.
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"Es erinnert an eine typisch spanische Seifenoper", sagt Oscar Villasante. Der in Madrid lebende Kameramann glaubt, dass es auch mit dem Nachrichtenloch des Sommers zu tun habe, dass dieser Kuss solche medialen Kreise zieht, auch international: "Was mag der Rest der Welt von uns denken?"
Wenig Feierstimmung
Als der Siegesbus der WM-Frauen am Montagabend nach dem Sieg in Australien durch Madrid zieht, stehen am Anfang nur wenige Madrilenen am Straßenrand, um ihnen zu gratulieren. Die Spielerinnen schauen auf ihr Handy. Irgendetwas scheint komisch. In den sozialen Netzen tobt schon der Krieg gegen Rubiales. Hermoso wird unter Druck gesetzt, sich klar gegen ihn auszusprechen. Er hingegen will, dass sie zugibt, dass auch sie den Kuss gewollt habe.
Ihr Instagram-Account, wo nach dem Spiel zu hören war, dass ihr der Kuss von Rubiales nicht gefallen habe, kommt inzwischen auf über eine Million Follower.
Schon am Freitag melden einige spanische Medien, dass Rubiales wegen des Drucks am nächsten Tag zurücktreten werde, aber überraschend macht der Andalusier genau das Gegenteil: "Ich trete nicht zurück." Viermal wiederholt er diesen Satz vor seinen Vertrauten vom Verband. Viele applaudieren, einige stehen dabei sogar auf.
Mutter im Hungerstreik
Verschiedene feministische Organisationen im ganzen Land haben in den vergangenen Tagen zum Protest aufgerufen, darunter auch in Madrid, wo einige Dutzende sich an diesem Dienstag auf dem Platz Callao versammelten und Rubiales aufforderten, endlich zurückzutreten.
Regierung macht Druck
Die spanische Regierung macht derweil Druck bei der Fifa. Diese suspendiert den Spanier vorerst vom Dienst und untersagt ihm, sich der Familie von Hermoso zu nähern – ein einmaliger Vorgang in der Fußballgeschichte. Dass Rubiales Mutter sich seit diesen Montag im Heimatort Mortril in einer Kirche eingeschlossen hat und in den Hungerstreik getreten ist, weil ihr Sohn zu unrecht gekreuzigt werde, ist für Villasante genauso typisch wie alles andere: „Es treffen eine sehr progressive Frauenpolitik auf noch sehr weit verbreitetes Machoverhalten.“
Nur Rechtsextreme dagegen
Dass viele, die Rubiales am Samstag noch applaudiert haben, nun seinen Rücktritt fordern, sei Teil einer scheinheiligen Kultur, glaubt die 20-jährige Ana Sofie Bernat. Für die Frauen in Spanien sei die Seifenoper jedoch ein doppelter Sieg: Die Frauen-Gewerkschaft Futpro ist plötzlich überall präsent und die linke Arbeitsministerin wird zu ihrem Sprachrohr. Diesmal, so Bernat, seien alle Parteien und die spanische Gesellschaft vereint. Außer der rechtsextremen Vox. Deren Europaabgeordneter Hermann Tertsch weist nur darauf hin, dass Rubiales doch Sozialist sei.
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