Ein Übergriff passiert nicht immer im Dunkeln auf dem Heimweg. Manchmal passiert er, wenn Millionen Menschen zusehen. Der Täter ist nicht immer ein Unbekannter, in den meisten Fällen ist es jemand, den man gut kennt und vielleicht sogar mag. Nicht immer trägt man blaue Flecken oder andere, viel schwerwiegendere Verletzungen davon.
Jennifer Hermoso hätte in der vergangenen Woche bestimmt besseres zu tun gehabt, als sich mit Juristinnen oder Vertretern der Spielerinnengewerkschaft zusammenzusetzen und gegen das Verhalten des Präsidenten des spanischen Fußballverbands vorzugehen. Sie hätte ohne Ende feiern können, zu Fototerminen mit dem WM-Pokal antreten, Dutzende Interviews geben und dort erzählen, wie schön es ist, Weltmeisterin zu sein.
Aber Jennifer Hermoso musste sich anhören, sie sei eine Lügnerin. Der Verband stellte sich hinter Rubiales und drohte, sie wegen Rufschädigung zu verklagen. Hier spielt jemand alle seine Karten aus, die ihm seine privilegierte Stellung der vergangenen 46 Lebensjahre in die Hand gegeben hat.
Er habe keinen Fehler gemacht, sagte Rubiales. Entschuldigt hat er sich außerdem nur, weil seine emotionalen Handlungen „von außen“ falsch aufgefasst worden seien. Nun sei er Opfer einer „sozialen Hinrichtung“ und eines „falschen Feminismus“. In seiner Welt heißt das: Wenn er will, kann er die Spielerin küssen, basta! „Grab them by the pussy“, hat ein anderer gesagt. Einfach, weil er es kann – und immer damit durchkam. Weil er stets ein System an Unterstützern hinter sich wusste, das ihm die Stange hielt – auch bei früheren Vorwürfen (Korruption, sexistisches Verhalten, Machtmissbrauch). Auffallend in diesem Zusammenhang auch das lange Schweigen seiner hochrangigen Kollegen bei der UEFA.
Dass sich nun auf der anderen Seite so viele hinter die Spielerin stellen, zeigt vor allem, dass wir in den vergangenen Jahren einiges dazugelernt haben. Dass wir auch diese Formen der Gewalt benennen können und dass wir zusammenstehen, anstatt zu sagen: „Geh, stell dich nicht so an!“
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