Der Eklat um Spaniens Fußball-Präsident Luis Rubiales, der Stürmerin Jenni Hermoso nach dem Gewinn des WM-Titels auf den Mund geküsst hat, beschäftigt auch Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen.
Die einst erste Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien und Gründerin von Österreichs erstem Frauengesundheitszentrum war Mitgestalterin des österreichischen Psychologengesetzes. Sie trägt das Goldene Ehrenzeichen der Republik.
KURIER:Wie ist denn Ihr Bezug zum Fußball?
Beate Wimmer-Puchinger: Meine Töchter sind sehr interessiert, mein Mann auch. Ich schau’ und freue mich, dass Frauen endlich spielen dürfen. Fußball ist ein toller Sport.
Ist es nicht traurig, dass der Erfolg der Spielerinnen in den Hintergrund gerückt ist?
Das ist sehr schade, aber es ist zwiespältig, weil sich hier ein Lerneffekt ergibt. Dass die gewohnten Gesten, dass man Frauen einfach festhalten, küssen, übergriffig sein, blöde Schmähs machen kann, dass das nicht mehr geht. Bisher war das unterschwellig und keiner hat darüber geredet. Und jetzt ist es aufs Tapet gekommen.
Sie orten bei all der negativen Energie also eine große Chance für die Gleichstellung von Mann und Frau?
Ich denke schon, wenn man auch verfolgt, wie die Medien berichten. Vor allem auch in Spanien, einem Land, das lange als Machismo-Land gegolten hat. Die Frage, die wir Frauen uns stellen, ist auch: Würde das eine Präsidentin bei männlichen Spielern machen? Wohl nicht. Oder würde das ein Präsident mit einem männlichen Spieler machen? Wohl auch nicht. Es verdeutlicht die lange Zeit unhinterfragter Konvention, wonach man Frauen einfach benutzen, herzen und küssen kann, ohne Einverständnis. Er hat sie festgehalten, sie hatte keine Chance. Das war völlig deplatziert, aber eben im Sinne der bisher völlig veralteten Rollenmuster.
Wie bewerten Sie die starken Reaktionen?
Die Reaktionen zeigen: Das geht nicht mehr, wir Frauen sind zu stark, zu gut und wir wollen respektiert und nicht in der Öffentlichkeit zum Objekt gemacht werden. Wenn er sie doch nur umarmt hätte, aber das war ganz klar grenzüberschreitend.
Wo liegt die Grenze?
Wenn man im Überschwang der Gefühle sagt, ’Ich finde dich so großartig, darf ich dir ein Bussi geben?’, dann wäre das angemessen. Aber nicht auf den Mund. Jemanden auf den Mund zu küssen ist etwas, das ein Einverständnis braucht, das hat eine besondere Symbolkraft. Hier handelt es sich eindeutig um einen sexuellen Übergriff und das machte auch die Körpersprache deutlich.
Welche Auswirkungen hätte dieser Vorfall denn vor 20 oder 30 Jahren gehabt?
Man hätte es für normal gehalten und wäre zur Tagesordnung übergegangen. Denken Sie daran, wie lange es gedauert hat, bis Frauen überhaupt im Sport mitmischen durften. Bis sie Marathon laufen oder bei Olympia teilnehmen durften. Die gesamte Geschichte von Frauen im Sport ist unheimlich interessant und ein Spiegelbild einer lange drapierten männlichen Dominanz. In welchem Lebensbereich auch immer.
Glauben Sie, dass sich Frauen nach wie vor eine Maske aufsetzen oder eine Rolle spielen müssen, um sich im von Männern dominierten Sport durchzusetzen?
Das müssen wir immer und überall. Es ist eine traurige Tatsache, dass du als Frau oft doppelt so hart arbeiten musst, wenn du an die Spitze kommen willst. Du musst lernen, dich durchzusetzen, das spüren wir nach wie vor auf Schritt und Tritt. Auch in der Sprache. Ein Mann, der an die Spitze kommt, ist ein toller Manager. Für eine Frau, die an die Spitze kommt, gibt es viele böse Bezeichnungen, weil es immer noch als unweiblich gilt, wenn man sich durchsetzt. Frauen haben charmant zu sein, zu lächeln und zu allem Ja und Amen zu sagen. Das wird noch immer erwartet. Da ist noch viel zu tun, aber ich bin optimistisch, weil es viele junge Männer gibt, für die das nicht mehr akzeptabel ist. Frauenfußball ist da umso wichtiger, weil gerade der Fußball so lange männlich war. Als Psychologin finde ich Fußball auch so spannend.
Warum das?
Buben werden schon früh zum Teamspieler erzogen, während Mädchen wenig Möglichkeiten gegeben werden, mit anderen Mädchen in einem Team zu agieren – das gemeinsame Puppenspiel ist nun mal doch ganz was anderes, nicht strategisch und gewinnorientiert.
Was hätte es denn geändert, hätte sich Präsident Rubiales glaubhaft entschuldigt?
Dann wäre es nicht so weit gekommen. Dass er sich als Opfer inszeniert, ist doppelt schädigend. Es passt auch nicht, dass er sagt, es wäre ein Kuss gewesen, wie er ihn auch seiner Tochter gibt. Man soll auch seine Tochter nicht auf den Mund küssen. Der Mund ist eine erogene Zone und der Intimität vorbehalten. Auf den Mund zu küssen ist eben kein Bussi.
Die Täter-Opfer-Umkehr hat auch zur Folge, dass Jennifer Hermoso nachgesagt wird, der Kuss hätte ihr gefallen, weil sie im Moment danach lächelnd weggegangen ist.
Das finde ich ganz böse. In ihr Lächeln würde ich nie etwas hinein interpretieren. Das kann 100 Gründe haben und dass man nach dem WM-Gewinn auf Wolke sieben spaziert, ist doch klar.
Wie geht es jetzt weiter? Soll Rubiales zurücktreten?
Er ist für mich der Inbegriff eines stolzen spanischen Mannes. Eines Machismo, der nicht verstanden hat, dass es jetzt andere soziale Spielregeln gibt in unserer Gesellschaft – Gott sei Dank. Ob er zurücktreten soll, oder nicht, will ich gar nicht kommentieren. Das sollen sich die ausmachen. Aber dass die Sache zu solchen Protesten und Diskussionen geführt hat, finde ich für unsere Gesellschaft sehr wertvoll. Das haben wir schon längst gebraucht.
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