Ein "Ja" zu Spanien: Warum in Barcelona die echten Sorgen zählen
"Los von Madrid", "Freiheit für Katalonien": Über Jahre schien es in Spaniens wirtschaftlich stärkster Region an der Mittelmeerküste kein anderes Thema zu geben. Die Separatisten regierten in Barcelona, pokerten mit Madrid um Macht und Geld, oder forderten mit einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Spaniens Regierung offen heraus - die wiederum mit oft sinnloser Gewalt zurückschlug.
Zeitungen feiern "Das Ende der Unabhängigkeit"
Doch dieser politische Stellungskrieg wird nach den Regionalwahlen am Sonntag wohl in die hinteren Reihen verbannt. Denn Kataloniens rund acht Millionen Bürger haben sich klar für eine politische Trendwende ausgesprochen. Erstmals seit mehr als zehn Jahren haben die separatistischen Parteien gemeinsam nicht mehr die Mehrheit im Parlament in Barcelona, sie haben diese sogar klar verfehlt.
Die Koalition aus Parteien von ganz links bis rechts, die in Katalonien so lange die Politik bestimmt hat, ist abgewählt - und damit auch das eigentlich einzige politische Ziel, auf das sich die so verschiedenen Gruppierungen wirklich einigen konnten: Die Unabhängigkeit. Mit der sei es, waren sich die Kommentatoren in den spanischen Zeitungen einig, vorerst einmal vorbei.
Sozialisten siegen, Konservative feiern Überraschungserfolg
Stärkste Partei mit deutlichen Zugewinnen wurden die Sozialisten von Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez. Der hat in den vergangenen Jahren versucht, mit den Separatisten politisch ins Gespräch zu kommen, auch weil er sie für die Mehrheit in Madrid brauchte. Offen abgelehnt hat diesen Dialog immer die konservative Volkspartei PP und jene Bürger in Katalonien, die die Separatisten als Feinde betrachten, wandten sich diesmal an die PP. Traditionell in Katalonien eher bedeutungslos, schaffte sie es auf mehr als zehn Prozent.
Der radikalste Separatist bleibt der Stärkste
Jene Katalanen dagegen, die unbeirrbar an der Unabhängigkeit festhalten, entschieden sich für deren radikalsten Vertreter: Den ehemaligen katalanischen Regierungschef, Carles Puigdemont.
Der lebt seit Jahren im Exil, weil in Spanien wegen seines Kampfes für die Unabhängigkeit ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Doch weil Sanchez eine Amnestie für die Separatisten anstrebt, könnte er schon in wenigen Wochen heimkehren. Puigdemonts Partei "Junts" ist bei den Wahlen auf dem zweiten Platz gelandet, doch für eine regierungsfähige Mehrheit fehlen ihr die Partner. Puigdemont aber bleibt vorerst stur, sieht sich als Opfer der brutalen Unterdrückung durch Madrid und will eine Minderheitsregierung probieren.
Schwierige Regierungsbildung steht bevor
Doch das scheint ziemlich ausweglos, auch wenn Puigdemont versuchen könnte, Premier Sanchez in Madrid unter Druck zu setzen, wo er seine Partei für eine Mehrheit im Parlament braucht. Zu klar haben diese Wahlen die Stimmung der Katalanen zum Ausdruck gebracht - und die ist vor allem von einem geprägt: Überdruss mit der seit Jahren praktizierten Politik. Katalonien ist in den vergangenen Jahren durch mehr als eine Krise durchgegangen.
Wirtschaftliche Turbulenzen und Trockenheit
Die Wirtschaft und vor allem die Banken gerieten in Turbulenzen, die durch die Pandemie noch verstärkt wurden. Zuletzt aber drückte vor allem ein Thema auf die Stimmung: Die verheerende Trockenheit. Katalonien gehört zu den am stärksten vom Wassermangel betroffenen Regionen Spaniens, auch wenn der Wassernotstand nach den jüngsten Regenfällen vorübergehend aufgehoben wurde. Die Stauseen sind weiterhin zu zwei Drittel leer, der Bau riesiger neuer Anlagen zur Entsalzung von Meerwasser.
All das sind Probleme, die die bisherigen separatistischen Regierungen in Katalonien verschleppt haben. Am Wahlsonntag jedenfalls war die deutlichste Antwort Resignation: Fast die Hälfte der Katalanen blieb zuhause. Sie erwartet sich von ihrer Politik offensichtlich etwas anderes als eine Fortsetzung des Streits über die Unabhängigkeit.
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