Genau 73 Jahre nach Schuman breitete gestern Deutschlands Kanzler Olaf Scholz seine Gedanken zur Zukunft Europas aus.
Von Visionen war da allerdings nichts zu hören, nur eine solide, sachliche Aufzählung von Herausforderungen und Reformen, die auf die EU warten. „Unaufgeregt“, „kühl“ bis hin zu „uninspiriert“ sei seine Grundsatzrede gewesen, murrten einige deutsche EU-Abgeordnete im EU-Parlament in Straßburg.Als feuriger Redner ist der Hamburger zwar ohnehin nicht bekannt. Doch was der sozialdemokratische Kanzler Deutschlands und damit der mit Abstand mächtigste aller europäischen Regierungschefs da am Dienstag präsentierte, warf selbst seine engsten Parteifreunde nicht vom Hocker:
Geschlossen und geeint müsse die EU agieren, forderte Scholz wenig überraschend; er beschwor die Allianz zu den USA und warnte vor einem De-Coupling von China, notwendig sei vielmehr ein kluges „De-Risking“.
Was er anstrebe, sagte Scholz, sei ein „geopolitisches Europa“; eines, das Partner auf Augenhöhe behandle; keine von jenen Weltmächten, die sich zu zweit oder zu dritt die Welt aufteilten.
Was also soll die EU tun? „Freihandelsabkommen abschließen“, fordert Scholz und lässt dabei erstmals so etwas wie Leidenschaft durchklingen. Und Europa solle „größer werden“, also den Westbalkanstaaten sowie der Ukraine und Moldau eine Beitrittsperspektive anbieten.
Dafür aber, so der deutsche Kanzler, und da wurde er erstmals konkret, müsse sich die EU auch nach innen ändern. Scholz warb für mehr Ratsentscheidungen mit qualifizierter Mehrheit bei der europäischen Außenpolitik und bei Steuerfragen. Derzeit gilt in beiden Bereichen das Prinzip der Einstimmigkeit – wählt nur eine Regierung unter den 27 EU-Staaten ein Nein, ist alles blockiert.Von einer „Zeitenwende“ hatte Scholz unmittelbar nach Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine gesprochen. In seiner eigenen zögerlichen Politik hat sich diese Zeitenwende bisher kaum gezeigt.
Und auch auf europäischer Ebene ließ der deutsche Kanzler noch mit keiner tonangebenden Dynamik aufhorchen. Politische Impulse gingen von ihm nicht aus. Im Gegenteil irritierte Scholz mit langem Zuwarten, bis er endlich grünes Licht für die Lieferung von Kampfpanzern für die Ukraine gab.
Und eine europäische Armee? Fehlanzeige. In seiner Rede forderte Scholz gestern zwar mehr Integration – die bezog sich aber nicht auf eine europäische Armee, sondern nur auf die europäische Verteidigungswirtschaft.
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