Wie Beata sollen knapp 300.000 junge Menschen in den vergangenen 15 Jahren das Land verlassen haben – ein schmerzhafter Aderlass angesichts einer Einwohnerzahl von 5,4 Millionen.
Der Brain Drain
„Drei Viertel aller Jungen, die zum Studieren nach Tschechien gehen, kommen nicht mehr zurück“, erzählt Zuzana Mikulasova. Die Unternehmens- und PR-Beraterin, die selbst im Ausland, darunter auch in Innsbruck studiert hat, kehrte zwar heim, doch sie weiß auch: „Wir als Slowakei brauchen einen Neustart. Als Staat sind wir so jung, erst 30 Jahre alt – aber gefühlsmäßig stecken wir immer noch in alten Zeiten fest.“
Alte (kommunistische) Zeiten, das ist in der Gefühlslage vieler Slowaken ein tiefes Misstrauen gegenüber den USA, der NATO, gegenüber dem Westen allgemein. Darauf aufsetzend schwimmt der frühere Langzeitpremier Robert Fico auf einer überraschenden Erfolgswelle, die ihm morgen den Sieg bei den Wahlen eintragen könnte.
Keine Waffen mehr
Den Ukrainekrieg nutzte der Populist, den Antikorruptionsproteste vor fünf Jahren aus dem Amt fegten, als zusätzliche Wahlkampfmunition: Waffen in die Ukraine werde die Slowakei nicht mehr schicken, versprach der Chef der linkspopulistischen Smer-Partei immer wieder. Die EU-Sanktionen gegen Russland lehnt der dreimalige Ex-Premier ebenso ab. Und mit Putin, so Fico, müsse die Slowakei genau so gute Beziehungen pflegen wie mit der Ukraine.
Sorgen in Brüssel
In Brüssel sorgen die rhetorischen Donnerschläge des Populisten für Sorgenfalten: Die Slowakei galt bisher als verlässlicher Mitstreiter auf Seite der Ukraine.
Wird die nächste Regierung in Bratislava eine anti-europäische Vollbremsung hinlegen? Martin Horvath winkt ab. „Die Mehrheit der Slowaken will einen starken Führer“, glaubt der Strategiespezialist, und das umso mehr nach den chaotischen drei Regierungen allein in den letzten drei Jahren. Die Kabinette zerbrachen an Inkompetenz und inneren Streitereien – und das, wo eine Krise die andere jagte:Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, nahezu hundertprozentige Gasabhängigkeit der Slowakei von Russland. „Wir brauchen Stabilität. Politiker sollen nach ihren Resultaten gemessen werden“, sagt Horvath, „und wir sind alle hungrig nach Resultaten.“
Zumindest ein Fünftel der Slowaken traut laut Umfragen Fico genau diese Resultate zu. Dabei sind sie nicht vergessen, die riesigen Proteste nach der Ermordung des Investigativjournalisten Jan Kuciak und dessen Freundin. Die landesweite Aufregung über die Morde, deren Auftraggeber in die Geschäftsumgebung der damaligen Regierung reichten, hatten Fico 2018 von der politischen Bühne gejagt.
Jetzt ist er zurück – „und die Leute sagen: Fico ist ein Gauner, und Gauner sind sie im Grunde eh alle. Aber er kann wenigstens Ordnung schaffen“, schildert Journalist Andrej Matisak die Stimmung.
Noch aber hat Fico sein Amt nicht zurückerobert. Von liberaler Seite her erwuchs ihm plötzlich ein ernsthafter Gegner: Michal Simecka, junger Chef der Fortschrittspartei (PS).
Politisch ist der 39-Jährige ein regelrechter Anti-Fico: jung, pro-europäisch, urban, Verfechter der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung. LGBTQ-freundlich. Rund 18 Prozent der Wähler könnten für ihn stimmen. „Aber mit so einem Programm“, sagt Strategiespezialist Martin Horvath, „ist es in der Slowakei schwierig. Das ist nicht mehrheitsfähig.“
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