Slowakische Ex-Regierungschefin: „Fico kopiert in Teilen Orbán“

Robert Fico Slowakei
„Es war richtiges Chaos“, sagt Iveta Radicova, erste Ministerpräsidentin der Slowakei (2010-12), über die drei Regierungen der vergangenen drei Jahre. In derart instabiler politischer Lage schickt sich der umstrittene Ex-Premier Robert Fico an, in Bratislava wieder die Macht zu ergreifen.
Am Samstag wird gewählt, und führe Fico dann eine Koalition, meint Radicova, „dann eine, die in Teilen Ungarns Premier Viktor Orbán kopiert“.
KURIER: Was würde ein Wahlsieg Robert Ficos für Europa bedeuten? Würde er dann zusammen mit Ungarn und Polen eine Art Anti-Brüssel-Phalanx bilden?
Iveta Radicova: Fico ist völlig gegen die EU-Sanktionen gegen Russland, deswegen pocht er auch so auf das Veto-Recht innerhalb der EU. Wenn er nun im Wahlkampf sagt, dass die Slowakei keine einzige Waffe mehr in die Ukraine schicken werde, meint er das so.
➤ Mehr dazu hier: "Putsch in der Slowakei"
Ebenso meint er, dass er gleich gute Beziehungen zu Putin wie zur Ukraine haben will. Ficos Politik ähnelt jener Orbán sehr, und in manchen Bereichen kopiert er seine Positionen.
Also Kehrtwende hin zu einem anti-europäischen Kurs in Bratislava?
Ich erwarte mir, dass die Slowakei dann mit einer kritischeren Position aufritt und immer schwächere Beiträge zu den EU-Agenden leistet. Aber gleichzeitig braucht die nächste Regierung wegen unseres hohen Budgetdefizits europäisches Geld. Mit sechs Prozent unseres BIPs haben wir das größte Minus in der EU. Und die Wahlsieger brauchen das Geld allein schon, um einige ihrer Wahlversprechen zu erfüllen .
Um eine Regierung bilden zu können, würde Fico mindestens zwei Koalitionspartner brauchen. Wird er die finden?
2010 hat Fico verloren, weil er keine Koalition bilden konnte. Also konzentriert er sich jetzt darauf, Potenzial für eine Koalition zu schaffen. Es gibt einige Parteien, die mit ihm regieren könnten. Es kommt nur darauf an, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament schaffen. Die rechtsextreme Republika wäre sicher dabei.
Es gibt doch auch eine liberale Partei, die in Umfragen fast gleichauf mit Ficos Smer liegt. Ist das auch eine Frage von urbanen und Wählern am Land, wer letztlich gewinnt?
Robert Fico und der Liberale Michal Šimečka kämpfen um den ersten Platz. Aber Sieger der Wahlen wird sein, wer eine Koalition bilden kann – und Fico hat dafür die besseren Karten.
Aber Prognosen zum jetzigen Zeitpunkt sind unseriös. Ein Drittel der Wähler ist noch unentschlossen. Und 40 Prozent der slowakischen Wähler wollen gar nicht wählen.
Unter den 15 Parteien, die nun antreten, gehört der größere Teil dem rechten bis hin zum rechtsextremen Lager an. Warum verfangen deren Themen so stark?
Der Lebensstandard in der Slowakei hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Das durchschnittliche BIP-Pro-Kopf beträgt nur 63 Prozent des EU-Schnitts. Und dann gab es drei Jahre lang eine völlig instabile politische Lage, es war richtiges Chaos in der Regierung. Aber wir hatten Pandemie – und in so einer Krise braucht man eine stabile Regierung.

Iveta Radicova, die erste Frau an der Spitze einer slowakischen Regierung (2010-12)
Iveta Radicova
war die erste Ministerpräsidentin der Slowakei. Sie regierte von 2010 bis 2012. Die in Bratislava geborene – mittlerweile ehemalige Politikerin war zuvor auch Arbeits- und Sozialministerin sowie Abgeordnete im slowakischen Parlament. Heute unterrichtet die 66-jährige Soziologie an mehreren Universitäten in Bratislava.
Wahlen am Samstag
Durch den Urnengang am Samstag soll die aktuelle Technokratenregierung in der Slowakei wieder von gewählten Politikern abgelöst werden. 4,5 Millionen der insgesamt 5,5 Millionen Slowaken sind wahlberechtigt. 40 Prozent davon aber werden laut Umfragen am Samstag nicht wählen gehen.
Wenn dann in einer solchen Lage die Opposition mehr Stabilität und mehr soziale Sicherheit verspricht, findet das Anklang.
Und dazu kommt noch das Thema Krieg in der Ukraine ...
Jetzt ist die Slowakei völlig polarisiert. Auf der einen Seite steht man zur Unterstützung für die Ukraine und auf der anderen Seite für Putin. Die politischen Parteien setzten sich auf diese Stimmung und diese Ängste drauf. Eine Grenze zwischen rechten Parteien und extrem rechten Parteien ist dabei in ihrer Rhetorik nicht mehr erkennbar.
Und die Migration – ist sie kein Wahlkampfthema?
Extrem rechte Parteien benutzen Krisen, um Ängste zu stärken – und so benutzen sie auch die Migration. Ungarn hat die Gefängnisse und die Grenzen geöffnet, und jetzt haben wir plötzlich Flüchtlinge – heuer kamen schon 21.000. So eine Situation hatten wir nie zuvor. Ein anderes Thema bei den Wahlen sind auch die Gender-Politik und der Liberalismus ... rechte Parteien sehen darin das „Ende der Slowakei“ und sagen, dass der „Multikulturalismus unsere Identität gefährdet“. Robert Fico steht für Anti-EU-Stimmung und Anti-Amerikastimmung.
Es gibt in der Slowakei einen sehr starken Anti-Amerikanismus, kommend noch aus den Jahren vor 1989. Die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova etwa wird von den extremen Rechten als „amerikanische Agentin“ beschimpft. Und nicht zu vergessen: 40 Prozent der Slowaken denken, dass es unter dem Kommunismus besser war.
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