Zeugen, die dem beigewohnt hatten, erzählten den Ermittlern, dass Lovato noch daran dachte, dem Verletzten und der Frau ihre Handys abzunehmen - wahrscheinlich, um sie daran zu hindern, Hilfe zu holen. Es war ein anderer Erntehelfer, der den Krankenwagen rief. Singh hatte aber zu viel Blut verloren, die Ärzte konnten ihn nicht mehr retten.
Singhs Schicksal ist leider kein Einzelfall
Singh war zusammen mit seiner Frau vor drei Jahren in Italien gelandet und hatte seither weit über 10 Stunden am Tag für einen Hungerlohn von rund fünf Euro pro Stunde gearbeitet. Einen Teil davon musste er den Schleppern, denen er noch Geld schuldete, geben.
Gegen Arbeitgeber Lovato wird jetzt wegen unterlassener Hilfeleistung, Verletzung geltender Arbeitsvorschriften und fahrlässiger Tötung ermittelt. Die Institutionen wiederum sprachen ihr Mitgefühl aus. Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida war es aber wichtig hervorzuheben, dass die Schuld eines Kriminellen nicht auf die ganze Branche zu übertragen sei. Immerhin gehöre die Landwirtschaft zu den „Eccellenze“ Italiens, wie die Regierung gerne hervorhebt.
Doch leider ist das Vorgehen Antonello Lovatos kein Einzelfall. Das zeigt schon seine Familie: Gegen den Vater läuft seit fünf Jahren ein Verfahren wegen der Ausnutzung von Arbeitern. Vor laufenden Kameras sagte Lovato Senior, sein Sohn habe Singh mehrmals vor der Maschine gewarnt, doch der habe "nicht darauf gehört und uns jetzt alle in Schwierigkeiten gebracht."
Sklavenartige Zustände auf den Feldern
In Italien spricht man, wenn es um die Ausbeutung von Arbeitern geht, von „Caporalato“. Eine Plage, die besonders in der Landwirtschaft präsent ist. Den Schätzungen des nationalen Statistikamts ISTAT zufolge leben an die 230.000 Erntehelfer, also ein Viertel aller landwirtschaftlichen Arbeitskräfte, unter unzulässigen bis sklavenartigen Zuständen. Die meisten sind Ausländer, der Großteil davon in den letzten Jahren illegal eingewandert.
Nach einem bis zu 16-stündigen Arbeitstag geht es für sie in barackenähnliche Unterkünfte. Baracken, für die eigentlich schon 200 Millionen Euro bereitstünden, um sie abzureißen und durch neue Unterkünfte zu ersetzen. Das Geld stammt aus dem europäischen Wiederaufbaufonds, wurde aber bis jetzt nicht genutzt.
Häufigere Ermittlungen
Die Caporalato-Plage taucht historisch erstmals Ende des 19. Jahrhunderts auf, ein erstes Gesetz zu ihrer Bekämpfung wurde aber erst 2011 verabschiedet. In letzter Zeit kommt es jedoch häufiger zu Ermittlungen, alleine zwischen 2022 und 2023 wurden 378 eingeleitet. Doch die Frage bleibt: Nimmt nur der Druck der Behörden oder doch die Ausbeutung der Erntehelfer zu?
Emilio Santoro, Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Florenz und Koordinator der Forschungsgruppe Altro Diritto meint, das sei nicht eindeutig. „Die Arbeiter reichen diese nur dann eine Klage ein, wenn sie sicher sind, dass ihnen jemand zur Seite steht und sie nicht vom Regen in die Traufe fallen“, sagt er dem KURIER.
Schleppende Erfolge
Arbeitsministerin Marina Calderone hat – wie schon ihre Vorgänger – versprochen, mit aller Härte einschreiten zu wollen. Doch wie soll man wissen, welches Geschäft oder welcher Marktstand Obst und Gemüse verkauft, bei dem alle entlang der Produktions- und Lieferkette angemessen entlohnt wurden?
Der Preis alleine ist nicht immer ein gültiges Kriterium. 2014 hat die nationale Rentenkasse INPS das Netzwerk „Qualitätsarbeit in der Landwirtschaft“ gegründet, um im Handel auf Lebensmittel aufmerksam zu machen, bei deren Produktion Erntehelfer fair entlohnt wurden.
Giorgio Mercuri, Landwirt in Apulien, ist INPS-Mitglied und weist in einem Zeitungsinterview auf zwei Probleme hin: Bis jetzt seien von den 175.000 italienischen Agrarbetrieben nur 6.000 dem Netzwerk beigetreten. Außerdem gebe es kein eigenes Logo, das dem Konsumenten bei der Wahl helfen könnte.
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