Sind Atomenergie und Gaskraft grün? Das EU-Parlament entscheidet
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wäre der größte Verlierer. Dann nämlich, wenn das EU-Parlament heute in Straßburg ein besonders heftig umstrittenes Gesetzesvorhaben ablehnt. Denn dann müsste Macron einen Gutteil der benötigten 50 Milliarden Euro von privaten Investoren in den Wind schreiben.
Diese riesigen Summen braucht der französische Staatschef für seine ehrgeizigen Kernkraftpläne: Den Bau sechs neuer Atom-Reaktoren will er beauftragen, die Errichtung acht weiterer noch prüfen.
Doch eine Mehrheit von mindestens 354 der 705 EU-Abgeordneten würde Macron gewaltig einbremsen.
Worum geht es? Abgestimmt wird über eine Art Leitfaden für dringend benötigte grüne Investments in Europa. In dieser „grünen Bibel“ für private Geldgeber werden als Orientierungshilfe klimafreundliche Technologien und Unternehmen aufgelistet. Damit hätten auch Kleinanleger die Gewissheit, dass ihre Euros bei einem Öko-Fonds nicht doch bei umweltschädlich produzierenden Unternehmen landen.
„Greenwashing“
Der große Streitpunkt entzündete sich an der Vorgabe der EU-Kommission: Die Behörde in Brüssel hatte quasi in allerletzter Minute noch Atomkraft und Gas als nachhaltige Technologien in diese Liste mit dem grausam sperrigen Namen „Taxonomie“ hineinreklamiert.
Seither tobt der Streit: Umweltschützer, Wissenschafter, sogar einige große Geldgeber werfen der Taxonomie „Greenwashing“ vor: Statt Klarheit zu schaffen, was tatsächlich klimafreundlich ist, würde die Liste verwässert. So soll Atomkraft als „grün“ gelten, obwohl es noch keine Lösung für die Lagerung gefährlicher radioaktiver Abfälle gibt. Und Gas soll als „Übergangstechnologie“ mit aufgenommen werden, obwohl der fossile Brennstoff klimaschädliches Kohlenstoffdioxid und Methan ausstößt.Der höchst emotional geführte Streit zieht sich quer durch die Parteienfamilien im EU-Parlament – je nachdem, ob im Heimatland der betroffenen EU-Mandatare Atomkraftwerke stehen oder nicht. Nur Grüne und Linke-Fraktion werden geschlossen dagegen stimmen.
Darum wird bis heute Mittag nicht klar sein, ob sich im Parlament eine Mehrheit gegen die Taxonomie-Regeln findet. „Es wird knapp“, befürchtet Claudia Gamon, Österreichs einzige liberale Abgeordnete im EU-Parlament.
Alle 19 österreichischen EU-Abgeordneten ziehen dabei an einem Strang: Atomkraft und Gas haben in der Taxonomie nichts zu suchen. Ein „grünes Mascherl für die Atomkraft“ lehne er ab, sagt Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des EU-Parlaments. „Kernenergie ist nicht sicher, nicht wirtschaftlich, nicht nachhaltig und in der Gesamtbilanz nicht CO2-neutral“, sagte auch SP-EU-Mandatar Günther Sidl.
Für Umweltministerin Leonore Gewessler ist jetzt schon klar. Sollte die Taxonomie-Regelung vom EU-Parlament doch noch angenommen werden, will sie vor den Europäischen Gerichtshof ziehen und klagen. Luxemburg würde mitmachen.
Fällt die mit Atom und Gas angereicherte „grüne Bibel“ durch, geht der Text zurück an die EU-Kommission. Sie muss dann einen neuen Vorschlag präsentieren, der Frankreichs Präsident Macron dann weitaus weniger gefallen dürfte.
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