Dass der 56-jährige frühere Bürgermeister der serbischen Hauptstadt mit seinem liberalen Wahlbündnis die politische Wende in Serbien einläuten kann, glaubt nicht einmal er selbst. „In Belgrad, ja, da werden wir gewinnen – aber außerhalb?“
Denn die Fäden für eine erfolgreiche Wahlkampagne haben allein der Präsident und seine Serbische Fortschrittspartei (SNS) in der Hand: „Kampagne? Es gibt keine Kampagne“, ärgert sich Oppositionschef Djilas im Gespräch mit dem KURIER:
„Er hat 50 Millionen Euro, wir haben vielleicht 500.000. Seine Leute kontrollieren 85 Prozent der Medien. Er war in den vergangenen 365 Tagen über 300 Mal in den staatlichen TV-Sendern zu sehen.“
Und Djilas selbst: Da muss er überlegen: „Zwei Mal.“
Hohe Unzufriedenheit
Ein Erfolg bei den Wahlen wäre denn aus Sicht der Opposition allein schon, die Macht der Präsidentenpartei im Parlament zu schmälern.
Und Chancen dafür gibt es: Die Unzufriedenheit wächst, die hohe Inflation besonders bei Lebensmitteln macht den Serben zu schaffen. Laut jüngsten Umfragen des Instituts Demostat bezeichnet ein Drittel der Bevölkerung seine Lebensbedingungen heute schlechter als vor zehn Jahren.
Die größte Wut auf die Mächtigen des Landes hatten im Mai aber zwei Amokläufe entfacht. Binnen zwei Tagen hatte ein 13-jähriger Schüler und ein 21-Jähriger 18 Menschen erschossen.
Die Amokläufe
„Diese Amokläufe sind nicht zufällig passiert“, sagt Djilas, der sich am Montag auf Einladung des Renner-Institutes in Wien aufhielt. „Die von Vučić kontrollierten Medien schüren ein Klima des Hasses. Bei uns ist es sogar möglich, dass ein Gewalttäter im staatlichen Fernsehen schildern darf, wie man einen Menschen umbringt. Man müsse nur darauf achten, dass man keine DNA-Spuren hinterlasse, sagte der. Unvorstellbar!“
Über viele Wochen hinweg hatten in Serbien Zehntausende Menschen friedlich gegen eine politische Kultur protestiert, die Gewalt schürt. Mittlerweile sind die Demonstrationen wieder verebbt, doch die generelle Unzufriedenheit ist geblieben.
Kriegsverbrecher
Wirtschaftsaufschwung, Ausstieg aus der endemischen Korruption, Zukunftsperspektiven, EU-Beitritt? All diese Ziele sind aus der Sicht der meisten Serben in große Ferne gerückt. Vucic, der einstige Pressesprecher von Diktator Slobodan Milosevic, hält seit über einem Jahrzehnt die Macht fest in seinen Händen.
Und das zuletzt in Koalition mit dem vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag schuldig gesprochenen Ultranationalisten Vojislav Šešelj. „Wir leben in der Vergangenheit, jetzt haben wir schon wieder Milosevic-Zeiten“, ärgert sich Dragan Djilas. Und was den Oppositionellen noch mehr empört: „Dass die EU das nicht sieht!“
In Brüssel wird allein Vucic als Garant für Stabilität angesehen. Was dazu führte, dass die liberale serbische Opposition links liegen gelassen – und zusätzlich geschwächt – wurde.
Und auch beim ewigen Streitthema Kosovo neigte Brüssel zuletzt vermehrt dazu, den Bremser vor allem im kosovarischen Premier Albin Kurti zu vermuten.
Bei aller Kritik an der Blauäugigkeit Brüssels gegenüber Machthaber Vučić aber pocht Dragan Djilas darauf: Der gesamte Westbalkan, die gesamte Region müsse in den kommenden Jahren in die EU aufgenommen werden.
„Wenn wir den Menschen kein normales Leben ermöglichen, ohne Verbrechen, Korruption und Gewalt, werden alle auswandern. Dann wird Serbien in 30 Jahren nicht mehr sechs, sondern nur noch drei Millionen Einwohner haben.“
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