2023 war ein politisch brisantes Jahr in Serbien: Im Mai kam es zu zwei Amokläufen, woraufhin eine Debatte über illegale Waffen im Land ausbrach – und mit ihr wochenlange Proteste gegen die serbische Regierung und Präsident Aleksandar Vučić.
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Der rief daraufhin – wohl mit der Absicht, seine Macht weiter zu festigen – Parlamentsneuwahlen aus. Das hat er schon mehrmals gemacht. Aber bei dem Urnengang am Sonntag könnte er sich verschätzt haben.
Opposition könnte 26 Prozent erreichen
Zwar gilt es als quasi ausgeschlossen, dass die Vučić-Partei SNS die Parlamentswahl nicht gewinnt (Umfragen sehen sie bei knapp 40 Prozent der Stimmen). Doch gleichzeitig werden dem neu gebildeten, proeuropäischen Oppositionsbündnis „Serbien gegen die Gewalt“ bis zu 26 Prozent vorausgesagt.
Die SNS kontrolliert die meisten Medien, zudem soll die Partei etwa Beschäftigte im öffentlichen Bereich unter Druck setzen, die SNS zu wählen. Angesichts unfairer Wahlbedingungen wie dieser wären 26 Prozent für die Opposition ein beachtliches Ergebnis. Ein großer Erfolg für sie wäre auch ein Sieg bei der am gleichen Tag stattfindenden Kommunalwahl in der Hauptstadt Belgrad, Schätzungen halten einen solchen für möglich.
Geeinte Opposition
„Vučić hat damit gerechnet, dass die Opposition zerrissener ist – in dieser Hinsicht hat er sich verkalkuliert“, analysiert Südosteuropa-Experte Florian Bieber von der Universität Graz. Zwar werde sich nach der Parlamentswahl strukturell wohl nicht viel ändern, aber: „Eine stärkere Opposition wäre eine Schwächung für Vučić.“
Die entscheidende Frage wäre dann: „Bleibt die Opposition auch nach der Wahl geeint?“ In dem Bündnis gebe es viele inhaltliche Unterschiede und Persönlichkeiten, die eine langfristige Zusammenarbeit schwierig machen könnten. Sollte die Opposition in Belgrad oder einer anderen Stadt Teil der Regierung werden, könne es auch zu Sabotageversuchen durch die SNS kommen.
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Vieles hängt letztendlich davon ab, wie viele Serben wählen. Eine hohe Beteiligung würde wohl der Opposition in die Hände spielen. Um mehr Menschen für den Urnengang zu mobilisieren, wurde eine „Geht raus und wählt!“–Kampagne ins Leben gerufen. Auch die Amokläufe im Frühling könnten die Menschen noch immer zum Wählen motivieren, so Bieber: „Die Frustration ist da, weshalb die Wahlbeteiligung höher sein könnte als bei vorangegangenen Wahlen.“ Andererseits seien die Proteste schon wieder einige Monate her.
Was kommt nach Vučić?
Im Wahlkampf der vergangenen Wochen zeigte sich einmal mehr, wie sehr sich bei der SNS alles um Vučić dreht. Obwohl man ihn bei dieser Wahl gar nicht wählen kann und er auch nicht mehr Parteichef ist, trat er bei zahlreichen Veranstaltungen auf.
Er war es, der auf den Plakaten zu sehen war. „Die Partei ist Vučić und Vučić ist die Partei“, sagt Bieber. Die SNS sei völlig auf ihn zugeschnitten und beruhe zudem auf der Macht, die sie durch das langjährige Regieren habe.
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Was, wenn Vučić irgendwann nicht mehr in der Politik ist? „Die SNS hat chamäleonartig Positionen von anderen Parteien übernommen, hat aber keine klare eigene Linie. Ich glaube, ohne Vučić und ohne Macht wäre sie verloren.“
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