Stahlwerk: Hunderte ukrainische Soldaten haben sich ergeben

Russia military operation in Ukraime
Die letzte Bastion des Widerstandes in Mariupol ist gefallen. Ein Gros der ukrainischen Soldaten wurde gefangen genommen.

Tag 84 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine: In der ukrainischen Hafenstadt Mariupol haben sich russischen Angaben zufolge seit Wochenbeginn 1.730 Kämpfer aus dem belagerten Stahlwerk Asowstal ergeben. Allein in den vergangenen 24 Stunden seien mehr als 770 Ukrainer gefangen genommen worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Donnerstag mit. Von ukrainischer Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung.

Der Chef der Separatisten in der Region Donezk, Denis Puschilin, sagte am Donnerstag im russischen Staatsfernsehen, dass ein Großteil der verbliebenen ukrainischen Soldaten in Mariupol gefangen genommen worden seien. Mehr als die Hälfte der Kämpfer, die sich im Stahlwerk verschanzt hatten, hätten das Werk inzwischen verlassen.

Auf russischer Seite war zuletzt von etwa 2.500 Menschen die Rede, die sich vor Beginn der Evakuierungsmission noch in den weitläufigen Bunkeranlagen des Stahlwerks aufgehalten haben sollen. Die Ukrainer sprachen von etwa 1.000. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Unklar ist weiter, ob sich Moskau - wie von Kiew erhofft - auf einen Austausch der Soldaten gegen russische Kriegsgefangene einlässt.

Russlands Truppen hatten Mariupol kurz nach Beginn des Angriffskriegs Anfang März zusammen mit prorussischen Separatisten belagert und innerhalb einiger Wochen fast komplett erobert. Die Kämpfer im Stahlwerk wurden zu den letzten Verteidigern der strategisch wichtigen Stadt am Asowschen Meer.
 

Selenskij stimmt Landsleute auf längeren Krieg ein

In der Ukraine gingen die Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Truppen auch in der Nacht zum Donnerstag weiter. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij bereitet die Bevölkerung seines von Russland angegriffenen Landes auf einen längeren Krieg vor. In seiner Videoansprache vom Mittwochabend machte er den Menschen in den russisch besetzten Gebieten im Süden Hoffnung, dass die Ukraine sie befreien werde.

"Cherson, Melitopol, Berdjansk, Enerhodar, Mariupol und alle unsere Städte und Gemeinden, die unter Besatzung, unter vorübergehender Besatzung sind, sollen wissen, dass die Ukraine zurückkehren wird", sagte er. Wie lange dies dauern werde, hänge von der Lage auf dem Schlachtfeld ab. "Wir versuchen es so schnell wie möglich. Wir sind verpflichtet, die Besatzer zu vertreiben und der Ukraine echte Sicherheit zu garantieren", sagte er in Kiew.

In diesen Zusammenhang stellte er auch die verkündete Verlängerung des Kriegsrechts und der allgemeinen Mobilmachung um weitere 90 Tage bis zum 23. August. "Unsere Armee und alle, die den Staat verteidigen, müssen über alle rechtlichen Mittel verfügen, um in Ruhe zu agieren", sagte Selenskij.

Die Lage an den einzelnen Fronten in der Ukraine blieb weitgehend unverändert. Im Osten versuchen russische Truppen weiter, die Gebiete Donezk und Luhansk vollständig zu erobern. Die Härte der Angriffe zeigt sich auch am Tod von 15 Zivilisten in der Region am Mittwoch. Demnach wurde auch mindestens ein Kind getötet.

Der Norden der Ukraine war nach dem russischen Angriff vom 24. Februar zunächst von Moskauer Truppen besetzt worden. Nach schweren Verlusten zogen sie sich aber auf eigenes Territorium oder nach Belarus zurück. Die Kämpfe verlagerten sich weiter südlich in den Donbass. Auch das russische Verteidigungsministerium meldete in den vergangenen Tagen Raketenangriffe auf den Norden der Ukraine.

Ukrainische Gebietsgewinne bei Charkiw

Ihrerseits nahmen die ukrainischen Streitkräfte für sich in Anspruch, im Norden der Großstadt Charkiw ein weiteres Dorf, Dementijiwka, zurückerobert zu haben.

In den vergangenen Wochen hatte die ukrainische Armee die russischen Truppen im Norden und Nordosten Charkiws eigenen Angaben zufolge immer weiter Richtung Grenze zurückgedrängt. Wie die meisten Militärberichte auf beiden Seiten waren auch diese Angaben nicht sofort zu überprüfen.

Gegenangriff

Das russische Militär soll bei Ternowa nordöstlich von Charkiw einen Gegenangriff versuchen. An der Grenze zum Donezker Gebiet würde zudem um die Ortschaft Dowhenke etwa 25 Kilometer vor Slowjansk gekämpft. Schwere Kämpfe gebe es dazu weiter bei Lyman, Bachmut, Awdijiwka und bei Sjewjerodonezk im benachbarten Luhansker Gebiet. Die russischen Truppen würden durch schwere Bombardements der Luftwaffe an verschiedenen Abschnitten unterstützt. Gebietsgewinne hätten diese jedoch nicht erzielt.

Nach Angaben aus Kiew wurden die nordostukrainischen Gebiete Sumy und Tschernihiw von russischem Gebiet aus beschossen. Der ukrainische Grenzschutz berichtete von sieben Angriffen mit schweren Maschinengewehren, automatischen Granatwerfern, Rohr- und Raketenartillerie. Das grenznahe Dorf Schostka im Gebiet Sumy sei über eine Stunde lang mit Mörsern beschossen worden. Opfer habe es aber keine gegeben. Die Berichte waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar.
 

Grenzregion

Der Gouverneur der westrussischen Region Kursk hat der Ukraine den Beschuss einer grenznahen Ortschaft vorgeworfen. Dabei sei in der Nacht zum Donnerstag im Dorf Tjotkino ein Zivilist getötet worden, schrieb Gouverneur Roman Starowoit im Nachrichtendienst Telegram. Zudem seien mehrere Häuser beschädigt worden. Tjotkino soll russischen Angaben zufolge bereits am Mittwoch angegriffen worden sein. Auch die ebenfalls grenznahe Region Belgorod hatte Beschuss gemeldet.

Die Ukraine äußerte sich zu den Vorwürfen zunächst nicht. 

Moskau dehnt Gebietsansprüche auf Saporischschja aus

Als bislang ranghöchster Politiker aus Moskau besuchte Vize-Regierungschef Marat Chusnullin das teilweise eroberte Gebiet Saporischschja im Südosten der Ukraine. Die Perspektive der Region liege darin, „in unserer einträchtigen russischen Familie zu arbeiten“, sagte er in der Kleinstadt Melitopol. Die Gebietshauptstadt Saporischschja ist weiter in ukrainischer Hand.

Für besondere Empörung in Kiew sorgte Chusnullins Forderung, die Ukraine solle für Strom aus dem von russischen Truppen besetzten Kernkraftwerk von Saporischschja bezahlen. Auch in Cherson sucht die Besatzungsmacht nach einem Weg, das Gebiet an Russland anzuschließen.

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