"Epidemie der Jüngsten": Schlimme Covid-Entwicklung in den USA
In den USA mehren sich bedingt durch die Delta-Variante akut Fälle von schweren Corona-Krankheitsverläufen bei Kindern. Eine Gruppe, der die Medizin bisher zugeschrieben hatte, in der Regel glimpflich davonzukommen. Leitende Ärzte in Kinder-Kliniken zwischen Miami, Boston, Los Angeles, Washington und Houston melden in US-Medien übereinstimmend, dass sie es binnen weniger Wochen rein zahlenmäßig mit rapide mehr jungen Patienten zu tun bekommen haben.
Mark Kline, der Chef des Kinderkrankenhauses in New Orleans/Louisiana, spricht von sogar von einer „Epidemie der Jüngsten“, da die Hälfte seiner Patienten unter zwei Jahre alt ist.
Außerdem werde die Klientel im Vergleich zur Lage vor einem Jahr, als es die Delta-Mutation noch nicht gab, viel schneller ernsthaft krank (Lungenentzündung etc.) und müsse häufiger als zuvor notbeatmet werden.
In mehreren Bundesstaaten melden Hospitäler bereits Engpässe auf den Kinderintensivstationen, wo die Zahl der kleinen Patienten binnen vier Wochen teilweise um 600 bis 1000 % gestiegen ist. Die „American Academy of Pediatrics“ (AAP), Standes-Vertretung für 67 000 Kinderärzte in den Vereinigten Staaten, schlägt darum Alarm. Die Arzneimittelbehröde FDA müsse so schnell wie möglich einen Corona-Impfstoff für die Altersklasse 5 bis 12 Jahre zulassen. Zudem seien Testreihen für Kinder unter fünf Jahren unbedingt zu intensivieren, schreibt AAP-Präsident Lee Sanio Beers in einem Brief an die FDA-Spitze.
95.000 neue Fälle
Nach seinen Angaben wurden in der Gruppe der Unter-12-Jährigen allein in der ersten August-Woche landesweit fast 95.000 Fälle registriert; ein Fünftel aller Neu-Infektionen in den USA. „Das ist der größte Anstieg seit Beginn der Pandemie“, sagt Beers. Detail-Aufnahme: Im Bundesstaat North Carolina entfiel im Januar beim damaligen Corona-Höchststand bei den Spital-Einweisungen nur ein Prozent auf die Altersklasse U 17. Heute sind es bereits 13 %, Tendenz: steigend.
Bei der Analyse drängt sich aus Sicht von Medizinern diese Vermutung auf: Wenn - Delta-bedingt - die Zahl der Infektionen innerhalb weniger Wochen auf über 100 000 pro Tag ansteigt und für Kinder unter 12 Jahren noch kein Impfschutz vorhanden ist, während inzwischen fast 55 % der Erwachsenen geimpft sind, landeten logischerschweise mehr Kinder im Krankenhaus.
Infektiöser und schwerer in Auswirkungen
Aber: Wie Dr. Rick Barr, Chef-Mediziner des einzigen Kinderkrankenhauses im Bundesstaat Arkansas, sagt, sei das Resultat der bislang Ältere bevorzugenden Impfkampagnen nicht der einzige Grund zur Sorge. Anhand der Krankheitsbilder, die er vorfindet, spricht Barr im Fall Delta bei Kindern von einem „neuen, ganz anderen Virus“, sprich: infektiöser, schwerer in seinen Auswirkungen als die bislang vorherrschende Alpha-Variante.
Ob dies tatsächlich so ist, kann die zuständige Gesundheitsbehörde CDC mangels Daten und Aussagekraft wissenschaftlich-medizinisch fundiert heute noch nicht sagen. Weil in diesen Wochen in den USA die Schule wieder beginnt und in allen Fällen für die Jüngeren kein Impfschutz existiert und vereinzelt (siehe Florida) sogar das obligatorische Tragen von Schutzmasken verboten wurde, steigt laut Richard Malley, Kinder-Spezialist in Boston, die Anspannung. „Alle sind ein bisschen nervös angesichts der Möglichkeit, dass die Delta-Variante für Kinder tatsächlicher gefährlicher sein könnte“, sagte er der New York Times.
Epizentrum der beunruhigenden Entwicklung ist Florida. Der Bundesstaat im Südosten verzeichnet gemeinsam mit Texas die meisten Krankenhauseinweisungen von Kindern, die schwere Symptome von starken Atembeschwerden bis Lungenentzündung zeigen.
Allein am Dienstag dieser Woche gab es nach den Statistiken der Regierung in Tallahassee rund 70 neue Patienten. Binnen eines Monats sind die Corona-Erkrankungen bei den unter 12-Jährigen in Florida nach Berechnungen des Miami Herald exorbitant gestiegen. Lag der Sieben-Tage-Durchschnitt bei Neuinfektionen in der Altersklasse U 12 Ende Juni bei 205 Fällen, waren es Ende Juli mehr als sieben Mal so viele - 1544.
Viel mehr schwere Krankheitsverläufe
Auffällig dabei: Waren Kinder in der ersten Corona-Welle nach einer Infektion meist asymptomatisch oder hatten nur sehr leichte Krankheitserscheinungen, sagt Dr. Ronald Ford, Chef-Mediziner des „Joe DiMaggio Children“s Hospital“ in Hollywood bei Miami, so häuften sich in den vergangenen Wochen schwere Krankheitsverläufe, die nicht selten mit dem Anschließen an Beatmungsgeräte endeten. In seinem Krankenhaus stieg die Zahl der Notfall-Behandlungen von Juni bis Juli um fast 1000 % - von 23 Kinder auf 240.
Das bundesstaatliche Gesundheitssystem meldet für die letzte Juli-Woche in Florida fast 11.000 Neu-Infektionen für unter 12-Jährige. In der Altersklasse 12 bis 19, für die es bereits Impfstoffe gibt, die aber bisher zu selten genutzt werden, gab es im gleichen Zeitraum ebenfalls 11.000 Neu-Infektionen. Zum Verständnis: In Florida sind in der Altersklasse 12 bis 19 bisher rund 750.000 Jungen und Mädchen geimpft - 38 % der Altersgruppe. Bei den über 65-Jährigen sind es 3,8 Millionen Geimpfte - 85 % dieser Alters-Kohorte.
Weil Florida sich seit Juli weigert, die Todeszahlen an die zentrale Gesundheitsbehörde CDC zu melden, ist das Bild hier eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie im März 2020 meldete der Bundesstaat bisher sieben Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren.
Zur Überbrückung - bis ein Impfstoff für die Jüngsten einsetzbar ist - pochen Experten um den Chef-Epidemiologen des Weißen Hauses, Dr. Anthony Fauci, auf die Klassiker: Masketragen im Kindergarten wie in der Schule, Abstand halten, Hand-Hygenie praktizieren und falls Erwachsene im Haushalt leben, die noch ohne Schutz sind: impfen! Nur so könne das Risiko gesenkt werden, dass sich noch nicht geimpfte Kinder infizieren und plötzlich schwer krank werden.
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