Die neuen Autoritäten: Das sind die Corona-Erklärer der Welt

Die neuen Autoritäten: Das sind die Corona-Erklärer der Welt
Mediziner sind derzeit omnipräsente Aufklärer in ihren Ländern, beraten Regierungen - manche bekommen sogar Morddrohungen.

"Ich will nicht als harter Kerl auftreten, der sich dem Präsidenten entgegenstellt. Ich will nur, dass die Fakten stimmen. Und anstatt zu sagen: Sie liegen falsch, muss man nur ständig darüber sprechen, was die Daten und die Beweise sind." Was Anthony S. Fauci, Top-Epidemiologe, im Interview mit der New York Times beschreibt, ist nichts anderes als ein schwieriger Seiltanz.

Fauci, 79 Jahre, ist der kleine drahtige Mann, der derzeit oft an der Seite von US-Präsident Donald Trump zu sehen ist. Beide geben ein ungleiches Paar ab: Auf der einen Seite der Mediziner, der nüchtern Fakten darstellt, und neben ihm der Präsident, der dafür bekannt ist, sich den Erkenntnissen der Forschung zu entziehen.

Die neuen Autoritäten: Das sind die Corona-Erklärer der Welt

Anthony Fauci mit Donald Trump

Der Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases, das sich mit Infektionskrankheiten, Immunschwächen und Allergien befasst, arbeitet im Krisenstab des Weißen Hauses an Maßnahmen gegen die Pandemie und führt die Forschungsbemühungen zum Coronavirus an. Andererseits muss Fauci immer wieder falsche oder irreführende Äußerungen Trumps einfangen - und bringt damit dessen Anhänger gegen sich auf.

Postings, die den Immunologen ins Zentrum einer Verschwörung gegen den US-Präsidenten rücken, werden tausendfach geteilt und erreichen so Millionen von Leuten. Allein auf Twitter machte eine Analyse der New York Times mehr als 70 Accounts ausfindig, die mit Hashtags wie #FauciFraud bis zu 800 Postings pro Tag veröffentlichen, die den Wissenschaftler diskreditieren sollen. Mittlerweile bekommt er auch Morddrohungen und erhält stärkeren Personenschutz.

Für die anderen ist Fauci, der sich in den frühen 1980er durch die Aids-Forschung einen Namen machte, wiederum ein Held: Er gilt als "truth teller", der bereits vor der Überlastung des US-Gesundheitssystems warnte, als andere noch nichts davon hören wolten. Der Kampf gegen das Coronavirus fordert ihm allerdings viel ab. In der New York Times berichtete der 79-Jährige auch, er habe in der Krise mehrere Nächte in Folge nicht mehr als drei Stunden Schlaf bekommen. Da sei es geradezu erholsam gewesen, wieder fünf Stunden am Stück schlafen zu können.

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Didier Raoult, Leiter des Instituts für Infektionskrankheiten in Marseille

Frankreichs Miraculix

Ein dichter Vollbart, schulterlanges silberweißes Haar: Didier Raoult, 68 Jahre, hat nicht nur das Aussehen mit dem Druiden Miraculix gemein. Der Mediziner sorgt in Frankreich derzeit für Aufsehen, weil er eine Art Heilmittel entdeckt zu haben glaubt. Am Institut für Infektionskrankheiten in Marseille, das er leitet, lassen sich Covid-19-Erkrankte mit dem Medikament Chloroquin behandeln. Damit wurden bisher Malaria-Erkrankte therapiert, ein prominenter Genesener: der Bürgermeister von Nizza.

Raoult, Sohn eines Militärarztes und einer Krankenschwester, beruft sich zudem auf Untersuchungen in China, die vor einer Woche in der Fachzeitschrift BioScience Trends erschienen sind. Darin beschreiben die Wissenschafter eine klinische Studie mit mehr als hundert Patienten. Im Text heißt es, dass eine Behandlung mit Chloroquin "wirksamer" gewesen sei als die einer Vergleichsgruppe.

Genaue Zahlen nannten die chinesischen Forscher von der Universität Qingdao allerdings nicht. Für Raoult war es dennoch eine "außerordentliche Nachricht", denn das Malaria-Medikament sei sehr preisgünstig.

Noch zurückhaltend äußerte sich der französische Gesundheitsminister Olivier Veran, selbst Mediziner. Er stehe mit Raoult im Kontakt und sein Ministerium lasse die Wirksamkeit des Arzneimittels prüfen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mahnte, dass der Nachweis der Wirksamkeit noch aussteht.

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Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin

Der Mann, dem Deutschland zuhört

Als Spezialist für neu auftretende Infektionskrankheiten ist Christian Drosten zu einem der präsentesten Köpfe in der Coronavirus-Krise geworden. Bei Pressekonferenzen sitzt er auf dem Podium mit Jens Spahn, dem Bundesgesundheitsminister.

Drosten ist Gast in Talkshows. Spricht mit Zeitungen, twittert und äußert sich seit Ende Februar ausführlich jeden Werktag im Podcast "Coronavirus-Update" im NDR. Dabei geht der Virologe auf neueste Entwicklungen und Fragen aus dem Alltag ein, erklärt laienverständlich und unaufgeregt, aber beschönigt nichts. Vieles ist zu komplex für zwei Sätze, das Format gibt ihm die Zeit auszuholen. Und an die Vernunft zu appellieren.

Tatsächlich weiß der 48-Jährige im Moment wohl so gut wie kaum ein anderer Wissenschaftler in Deutschland, wovon er spricht. Er war 2003, damals am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, einer der Mit-Entdecker des Sars-Coronavirus - eines engen Verwandten des aktuell pandemischen Erregers Sars-CoV-2. Auch ein schnelles diagnostisches Testsystem dafür entwickelte er mit - und bekam dafür das Bundesverdienstkreuz. Unter Drostens Leitung entstanden später laut Berliner Charité auch Tests für Zika und Mers.

Medienkritik

Für Drosten scheint aus seinem Wissen und aus seiner unabhängigen Position an der Charité heraus eine Verantwortung zu erwachsen, das Feld in der nun ernsten Lage nicht selbst ernannten Experten zu überlassen. Gleichzeitig übt er daran Kritik, dass Forscher medial als Entscheidungsträger dargestellt werden. Entscheidungen müssten aber Politiker treffen. Diese müssten das Gesamtbild betrachten und die Ergebnisse der unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen berücksichtigen, sagt der Drosten, der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel berät.

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Der Arzt Anders Tegnell berät als Staatsepidemologe die schwedische Regierung

Schwedens oberster Seuchenbekämpfer

Was der Virologe Christian Drosten für Deutschland ist, ist Anders Tegnell für Schweden: Der oberste Epidemiologe in Stockholm - das Amt gibt es seit 1955 - ist derzeit omnipräsent auf allen Kanälen. Die Meinungen über ihn und seine Empfehlungen gehen auseinander: Während die einen auf die spezielle Corona-Strategie ihrer Regierung und deren momentan wichtigsten Experten vertrauen, wundern sich die anderen, warum Schweden einen Sonderweg geht.

Kindergärten und Grundschulen bis zur neunten Klasse sind anders als Gymnasien und Unis weiter offen. Das Gleiche gilt für Restaurants, Bars und Cafés, die ihre Gäste aber nur noch am Tisch bedienen dürfen. Die Skigebiete sind ebenfalls weiter geöffnet, die Staatsgrenzen für Nicht-Europäer dicht, nicht aber für Bürger der EU und der Europäischen Freihandelszone.

Glaubt man dem Staatsepidemiologen Tegnell, dann wird die schwedische Strategie aufgehen. "Wir sind überzeugt davon, dass das hier der richtige Weg ist", sagte er dem Sender SVT. Im schwedischen Gesundheitswesen baue man sehr auf Vertrauen, Freiwilligkeit und darauf, eigene Lösungen zu finden, sagte er.

Vertrauen auf Vernunft der Schweden

Tegnell, die Regierung von Ministerpräsident Stefan Löfven und die Gesundheitsbehörden setzen weitgehend auf die Vernunft der Bevölkerung, auf Empfehlungen an Menschen über 70 zur Vermeidung enger Kontakte sowie auf das für die Schweden typische Vertrauen in die politischen Entscheider.

Die Ziele im Kampf gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 sind dabei dieselben wie anderswo: Die Virusausbreitung soll abgebremst werden, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig schwer erkranken und die Gesundheitssysteme überlastet werden. Die Folgen für Wirtschaft und Bürger sollen zudem aufgefangen werden.

Diese freizügige Linie erntet nicht nur Zuspruch. In einem offenen Brief forderten mehrere hochrangige schwedische Wissenschaftler die Behörden zum Kurswechsel auf. Die Regierung müsse den Kontakt zwischen den Menschen im Land kräftig einschränken und viel mehr testen, hieß es. Es sei auch eine gute Idee, etwa Schulen und Restaurants zu schließen, bis man mehr über die Situation wisse.

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