Von Franziska Trautmann
Die Schweizer sind dafür bekannt, besonders korrekt zu sein, aber bei manchen Dingen schüttelt selbst die eigene Bevölkerung den Kopf. Das jüngste Beispiel hat der Uhrenhersteller Jean Singer & Cie in Boudry im westlich gelegenen Kanton Neuenburg geliefert - er verlangt von seinen Angestellten, für jeden Toilettengang auszustempeln.
Bei einer Kontrolle über die Einhaltung der Coronamaßnahmen im Jahr 2021 stellte das Büro für Beziehungen und Arbeitsbedingungen in Neuenburg zufällig diese ungewöhnliche Praxis fest. Die Behörde brachte den Fall vor Gericht - doch dieses gab dem Arbeitgeber recht.
Gesundheitlicher Aspekt
Das Urteil sorgte für Aufruhr und erntete viel Kritik, da Angestellte gesundheitliche Schäden davontragen könnten. Nicht nur zu wenig Flüssigkeit, sondern auch das Zurückhalten des Toilettengangs ist unangenehm - und vor allem gefährlich für den Körper. Das Unternehmen argumentierte jedoch, eine volle Gleichbehandlung der Mitarbeiter anzustreben und deshalb keine Unterschiede im Zweck der Pause zu sehen.
Laut Kritikern könnte dieser Fall als Einladung für weitere Firmen gesehen werden – vielleicht auch in Österreich.
Unmut über Urteil
Auch Regierungsrätin Florence Nater aus Neuenburg teilte diese Sorge: "Ich hoffe, dass dieses Urteil keine Nachahmer bei anderen Unternehmen findet, die versucht sein könnten, solche Praktiken anzuwenden", sagte sie dem Schweizer öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTS. Mittlerweile haben aber tatsächlich bereits weitere Schweizer Uhrenhersteller diese Unternehmenskultur übernommen – die genaue Anzahl der Betriebe ist nicht bekannt.
Lücke im Gesetz
Das Neuenburger Kantonsgericht erklärte, dass der Begriff der "Pause" im Gesetz nicht eindeutig definiert sei. Zwar regle es die Länge, aber nicht den Zweck der Pause. Es handle sich um eine Gesetzeslücke, die Raum zur Interpretation lasse.
Bei der Umsetzung ist das Gericht jedoch noch nicht zufrieden. Es sieht darin Frauen aktiv diskriminiert. Aufgrund des Menstruationszyklus hätten sie häufigere und längere Toilettengänge, wodurch das Prinzip der Gleichbehandlung nicht eingehalten wäre. Dementsprechend verlangt das Gericht von der Firma, eine geschlechtergerechte Lösung zu finden.
Situation in Österreich
Wie ist diese Thematik eigentlich in Österreich geregelt? Laut der Arbeiterkammer Wien (AK) ist keine Judikatur aus Österreich bekannt, die sich mit dem Ausstempeln für eine Toilettenpause befasst. Wie in Deutschland gilt der Toilettenbesuch in Österreich als kurze Arbeitsunterbrechung, jedoch nicht als Pause.
Der Arbeitgeber darf weder über Häufigkeit, noch Dauer des Toilettenganges verfügen. Die AK spricht hier von einem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Selbst bei überdurchschnittlich häufigem Klobesuch ist der Arbeitgeber nicht dazu befähigt, einen Arztbesuch vom Angestellten zu fordern.
Bei einer mehr als sechs-monatigen gesundheitlichen Beeinträchtigung ist der Betroffene ohnehin vom Diskriminierungsschutz abgesichert.
Nicht gleich wie Raucherpausen
Toilettenbesuche sind von Raucherpausen zu unterscheiden. Das eine ist ein menschliches Grundbedürfnis, das andere ein individuelles Bedürfnis. Laut der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) besteht nach dem Arbeitsgesetz kein Anspruch auf Raucherpausen. Es sind gesetzliche Ruhepausen vorgeschrieben, aber nur deren Länge, nicht Zweck normiert.
Somit kann der Arbeitgeber frei darüber verfügen, ob man beim Rauchen ausstempeln muss.
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