Schulstart in Deutschland: "Wir sind absolut unzufrieden"
An der Grundschule im Ostseebad Graal-Müritz im Landkreis Rostock fiel der Unterricht deutlich kürzer aus als sonst - schon nach knapp einer Woche musste die Schule wieder schließen: Ein Kind wurde positiv auf Corona getestet. 104 Schüler, acht Lehrer und ein Referendar befinden sich seither vorsorglich in Quarantäne. Ähnliches ist an einem Gymnasium passiert, wo sich zwei Lehrkräfte mit dem Coronavirus infiziert haben.
Die Schulschließungen im nördlichen Bundesland alarmieren nun auch Eltern und Schüler in jenen Ländern, wo ab heute das neue Schuljahr startet: Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Vor allem in der Hauptstadt stehen die Hygienepläne der Senatsverwaltung in der Kritik.
Streitfrage: Maskenpflicht im Unterricht?
Diese sehen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Schulgebäude vor, in Fluren, Aufenthalts- und Begegnungsräumen, aber nicht während des Unterrichts bzw. ist es dort den Schulen und Klassen freigestellt. Es gebe Fälle von Lehrkräften, die wegen einer Vorerkrankung zu Risikogruppen gehören, die aber unterrichten wollen.
Wenn sie zur Risikoreduzierung eine Maske tragen, müssten das auch die Schüler, ließ der Sprecher der Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wissen. Die Politikerin selbst beruft sich in puncto Maskenpflicht im Unterricht auf Kinderärzte und Jugendpsychologen, die dagegen wären. Konkret ist es die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), ein Dachverband der kinder- und jugendmedizinischen Gesellschaften, die sich darauf beruft, dass bei Kindern "eine geringere Infektionshäufigkeit" bestehe und sie weniger schwer erkranken.
Anders sehen es die Experten der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie empfehlen neben kleineren Klassen, einen Mix aus Homeschooling/Präsenzunterricht, dass an Deutschlands Schulen von der fünften Klasse an auch im Unterricht Maske getragen wird.
Bisher will dies nur Nordrhein-Westfalen umsetzen, wo die Schulen am Mittwoch wieder öffnen. Einer der Befürworter: Deutschlands bekanntester Lehrer Heinz-Peter Meidinger. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands sieht es als "Opfer, das wir zumindest vorübergehend bringen müssen, um eine zweite Infektionswelle zu verhindern“. Für ihn sei es "aberwitzig", dass in Supermärkten, Zügen, Bussen, Gaststätten und bei Veranstaltungen Masken und Abstandsregelungen vorgeschrieben seien und an Schulen auf beides verzichtet werde.
"Unzufrieden" über Regelbetrieb
Die Abstandsregel von 1,5 Meter steht zwar auch im Berliner Hygieneplan, sie ist aber nur im Lehrerzimmer einzuhalten. Zudem empfiehlt man regelmäßiges Händewaschen und regelmäßiges Lüften der Räume - mehrere Minuten lang, um die Aerosol-Konzentration zu senken. Wie das im Herbst und Winter funktionieren soll; was passiert, wenn zahlreiche Lehrer ausfallen, die als Risikopatienten eingestuft und ausfallen, weil sie eine schwereren Krankheitsverlauf durchmachen, sind Fragen, die Eltern wie Lehrer umtreiben.
Norman Heise, der an diesem Montag auch seine zwei Kinder in die Schule bringt, ist "absolut unzufrieden, dass ab heute wieder der Regelbetrieb eingeführt wird", so der Vorsitzenden des Landeselternausschusses (LEA) gegenüber dem KURIER. Seine Sorge richtet sich vor allem auf die Inkubationszeit bei einer Corona-Infektion von Reiserückkehrern: Viele wären jetzt im Sommer weggefahren, manche waren in Risikogebieten - "und jetzt sitzen die Kinder ungetestet in den Schulen".
Plan B: Halbe Klassen und Infektionsgeschehen beobachten
Aus seiner Sicht wäre es besser gewesen, erst einmal einen Plan B zu fahren, um das Infektionsgeschehen bei Schülern und Lehrern in den ersten Wochen zu beobachten: "Klassen halbieren, Unterricht reduzieren und dann entscheiden, ob ein Regelbetrieb möglich ist, es einen Mund-Nasen-Schutz im Unterricht braucht."
Auch unter Lehrern macht sich Sorge breit. Das Kollegium der Werbellinsee-Grundschule im Bezirk Schöneberg hat sich vor Schulstart in einem offenen Brief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) gewandt und plädiert für einen Präsenzunterricht mit halben Gruppen. "Wir sehen diese Regelung als eine sinnvolle Maßnahme an, um alle Kinder, Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen vor einer Ansteckung zu schützen und das Ausbreitungsgeschehen besser zu kontrollieren“, heißt es im Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt.
Ein wenig Hoffnung ruht dieser Tage auch auf den Wetterverhältnissen: Durch die Hitze haben manche Schulen verkürzten Unterricht, können ihn umorganisieren oder sogar hitzefrei geben.
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