Ukraine-Krise: Schüsse in Ost-Ukraine, Moskau weist US-Vize-Botschafter aus
In der Ost-Ukraine ist es laut OSZE-Beobachtern am Donnerstag zu Gefechten gekommen. Demnach habe es einen Artillerie-Beschuss gegeben, hieß es aus diplomatischen Kreisen unter Berufung auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. In Luhansk sei ein Kindergarten getroffen worden, Verletzte gab es keine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einer "großen Provokation". Mit Beunruhigung beobachtete die NATO die Berichte über Angriffe.
Zudem betonte Selenskyj den Verbleib von Diplomaten und der OSZE in der Region. Dies hätte eine weitere zusätzliche abschreckende Wirkung. "Wir brauchen einen effektiven Mechanismus, um alle Verstöße gegen die Waffenruhe aufzuzeichnen", teilte der Präsident auf Twitter mit.
Das ukrainische Militär berichtete, aus dem Gebiet der pro-russischen Separatisten sei bei Luhansk auf eine Ortschaft geschossen worden. Auch in Donezk waren Zeugen zufolge in der Nähe des Flughafens und in dem Dorf Elenowka in der Provinz Donezk Artillerieschüsse zu hören, hieß es laut Reuters. Drei Zivilisten sollen verletzt worden sein.
Vize-US-Botschafter ausgewiesen
Mitten in großen Spannungen zwischen Moskau und dem Westen in der Ukraine-Krise ist der stellvertretende US-Botschafter in Russland, Bart Gorman, aus dem Land ausgewiesen worden. Das bestätigte das US-Außenministerium am Donnerstag in Washington. Das Vorgehen Russlands sei grundlos, man betrachte das als weitere Eskalation und überlege, wie man reagieren werde, hieß es.
Gorman habe ein gültiges Visum gehabt, er sei weniger als drei Jahre in Russland gewesen, und seine Zeit dort sei noch nicht beendet gewesen, hieß es weiter. Die US-Regierung forderte Russland auf, "die grundlose Ausweisung von US-Diplomaten und Mitarbeitern zu beenden". In der aktuellen Lage sei es wichtiger denn je, dass beide Länder über das notwendige diplomatische Personal verfügten, um die Kommunikation zwischen den Regierungen zu erleichtern.
Zwischen den USA und Russland gibt es seit längerem Streit über diplomatisches Personal. Russlands Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, hatte zuletzt beklagt, dass 27 russische Diplomaten mit ihren Familien Ende Jänner aus den USA hätten ausreisen müssen. Seinen Angaben zufolge werden den Ehepartnern von Diplomaten Akkreditierungen entzogen und ihren Kindern keine Visa erteilt. 28 weitere müssten die USA bis Ende Juni verlassen. Bei Facebook kündigte Antonow Ende Jänner eine Reaktion Moskaus an, ließ damals aber offen, welche Schritte Russland unternehmen würde.
Sucht Russland einen Vorwand für Krieg?
Die NATO beobachtete die Berichte über angebliche Angriffe gegen pro-russische Separatisten in der Ost-Ukraine mit Beunruhigung. "Wir sind besorgt darüber, dass Russland versucht, einen Vorwand für einen bewaffneten Angriff auf die Ukraine zu inszenieren", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg. Man wisse nicht, was passiere, aber der russische Truppenaufmarsch im Grenzgebiet zur Ukraine sei der größte in Europa seit Jahrzehnten.
Zugleich wisse man auch, dass es in der Ukraine viele russische Geheimdienstler gebe, die auch im Donbass aktiv seien. Und man habe Versuche gesehen, mit "Operationen unter falscher Flagge" einen Vorwand für eine Invasion der Ukraine zu schaffen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nannte die jüngsten Berichte ebenfalls "beunruhigend".
Ebenso wie die NATO sehen die EU-Staats- und Regierungschefs keine Anzeichen für einen russischen Truppenabzug an der Grenze zur Ukraine. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schenkt der Ankündigung Moskaus keinen Glauben. Der angekündigte Abzug russischer Truppen von der Halbinsel Krim sei ein "Fake-Abzug" gewesen, sagte Nehammer am Donnerstag in Brüssel. "Wir gehen nach wie vor davon aus, dass auf Knopfdruck eine Invasion in die Ukraine möglich ist."
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz warnte vor Naivität im Umgang mit Russland. Es stünden unverändert viele russische Soldaten entlang der Grenze zur Ukraine, sagte Scholz laut Reuters. "Das ist bedrohlich. Da darf man nicht naiv sein", betonte er. Die EU stehe zusammen, fügte Scholz nach der Beratung der EU-Staats- und Regierungschefs hinzu.
Biden spricht erneut von "Invasion in den nächsten Tagen"
US-Präsident Joe Biden befürchtet trotz aller Beteuerungen aus Moskau einen russischen Einmarsch in die Ukraine in den nächsten Tagen. Biden sagte am Donnerstag in Washington, die Gefahr einer Invasion sei "sehr hoch", und nach seiner Einschätzung könne es "in den nächsten paar Tagen" dazu kommen. Alles deute darauf hin, dass Russland bereit dazu sei, die Ukraine anzugreifen. Der US-Präsident betonte zugleich, es gebe nach wie vor die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung.
Darum habe er US-Außenminister Antony Blinken zu einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrates nach New York geschickt. Biden sagte auch, er habe zurzeit keine Pläne, erneut mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu telefonieren.
Die US-Regierung wirft Russland trotz anderslautender Beteuerungen aus Moskau eine weitere Aufstockung von Truppen und Ausrüstung an der Grenze zur Ukraine vor. Pentagon-Chef Lloyd Austin sagte am Donnerstag nach Beratungen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel: Die Russen beteuerten zwar, dass sie einige ihrer Kräfte abzögen, nachdem Übungen abgeschlossen seien, "aber wir sehen das nicht - ganz im Gegenteil". Er erklärte: "Wir sehen, dass sie die mehr als 150.000 Soldaten, die sie bereits entlang der Grenze stationiert haben, aufstocken. Sogar in den vergangenen paar Tagen."
Austin beklagte weiter: "Wir sehen, dass einige dieser Truppen näher an die Grenze heranrücken. Wir sehen, dass sie mehr Kampf- und Unterstützungsflugzeuge einfliegen." Moskau verstärke auch seine militärische Bereitschaft im Schwarzen Meer. "Wir sehen sogar, dass sie ihre Vorräte an Blutkonserven aufstocken." Der Minister betonte: "Man tut solche Dinge nicht ohne Grund. Und schon gar nicht, wenn man dabei ist, seine Sachen zu packen und nach Hause zu gehen."
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